„Extrem erfreuliche Situation“

Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) ist überzeugt, dass die Bachelor-Master-Reform bald Früchte trägt. Künftig schafften mehr Studierende einen Abschluss. Professoren, die Verschulung beklagen, drückten sich nur vor Verbindlichkeit

Jörg Dräger, 38, ist Physiker und leitet seit Herbst 2001 die Hamburger Wissenschaftsbehörde. Zuvor arbeitete er unter anderem als Unternehmensberater bei Roland Berger.

INTERVIEW: KAIJA KUTTER

taz: Herr Dräger, es heißt, Sie hätten Hamburgs Hochschulen in sechs Jahren mehr umgekrempelt als Ihre Vorgänger in 30. Was denken Sie, haben Sie damit mehr Menschen glücklich oder unglücklich gemacht?

Jörg Dräger: Die Herausforderung, die notwendigen Studienreformen zu bewältigen, ist enorm. Das führt zu einer Belastung, die nicht immer glücklich macht. Aber wir ernten jetzt die Früchte und sehen, dass es richtig war, diese Reformen zu machen. Das Tempo ist hoch, aber die Hochschulen haben teilweise selber gedrängt, es zu beschleunigen. So hätten sie für das Bachelor-Master-System (BA-MA) bis 2010 Zeit gehabt. Die Hochschulen haben es aus ihrer Eigeninitiative allerdings geschafft, es in Hamburg flächendeckend bereits 2007 einzuführen.

Das bringt manche in eine weniger glückliche Lage. Bisher hatten alle Studienanfänger die Perspektive für ein zehnsemestriges Studium. Künftig stellt sich nach sechs Semestern Bachelor die Frage, wie weiter?

Das sehe ich anders. Wenn es nur um planbare Sicherheit geht, hatte das Magister-Diplomstudium einen Vorteil. Die Studenten wussten, in den nächsten fünf Jahren darf oder muss ich an dieser Hochschule bleiben. Das BA-MA-System hat den großen Vorteil, dass es mehr Optionen bietet. Man kann nach drei Jahren in den Beruf, weil man von Hochschule genug hat, oder sich in einem geeigneten Masterstudiengang weiter spezialisieren.

Das ist die Theorie, aber es mangelt an Plätzen. Die Architektenkammer beklagt, dass es an der neuen Bau-Universität nur für die Hälfte einen Masterplatz gibt. Dabei würden Bachelor-Architekten gar nicht von der Kammer anerkannt.

Das ist ein Missverständnis. Die Hafen-City-Universität wird in Bereichen, die eine Kammeranerkennung brauchen, genügend Master-Plätze anbieten.

Auch an der Hochschule für bildende Künste gibt es nur für jeden zweiten den Master-Platz.

Um der Ausbildung gerecht zu werden, entschied die Hochschule, neben dem zweijährigen Master den Bachelor auf vier anstatt auf drei Jahre anzulegen. Das sind zusammen sechs statt der üblichen fünf Jahre und kostet Kapazität. Hätte man das gängige Modell, hätte man die doppelte Masterkapazität.

Mit der Uni-Hamburg haben Sie gerade über Masterkapazitäten verhandelt. Warum gibt es in den Naturwissenschaften für 80 Prozent der BA-Absolventen Masterplätze und in den übrigen Fächern nur für 60 Prozent?

Und in den Staatsexamina 95 Prozent.

Ja, stimmt.

Im Endeffekt ist das ein Strukturvorschlag der Universität, den ich aus drei Gründen für richtig halte: Erstens aus der Tradition der Fächer, zweitens aus der Frage, welche Berufsbilder stehen Bachelor- und Masterabsolventen offen, und drittens ein Stück aus der internationalen Erfahrung. Sowohl bei den Naturwissenschaften als auch bei den Juristen und in der Medizin wird überwiegend der Master absolviert. Und im betriebswirtschaftlichen wie im sozialwissenschaftlichen Bereich gibt es immer mehr Berufsbilder, die dem Bachelor entsprechen.

Die ausgehandelten Master-Quoten sind auf die Bachelor-Absolventen bezogen. Stimmen Sie mir zu, dass diese Quote umgerechnet auf alle Studienanfänger viel niedriger liegt?

Nein, überhaupt nicht. In den Geisteswissenschaften hatte ich früher bei 100 Studienanfängern 29 Absolventen. Jetzt habe ich die extrem erfreuliche Situation, dass ich von 100 Studienanfängern voraussichtlich 70 Bachelor-Absolventen haben werde. Und von den 70 können nach Planungen der Universität durchschnittlich 60 Prozent einen Master machen. Das sind 42 Prozent und damit immer noch deutlich mehr, als vorher einen Magister geschafft haben. Es werden insgesamt mehr einen Masterabschluss erreichen als früher einen Magistergrad erreicht haben. Was daran Studium light ist, muss mir einer erklären.

Sie sagten jüngst, in naturwissenschaftlichen Berufen bräuchte man eher einen wissenschaftlichen Ansatz als in anderen. Woher wissen Sie das?

Es geht um die Frage, in welchen Bereichen brauche ich Studiengänge, die sehr stark auf die Methodik des forschenden Lernens abzielen. Im Rahmen des Masterstudiums werde ich in die Lage versetzt, mir jenseits der Inhalte diese Kompetenzen anzueignen. Das wird im Bachelorbereich zwar stattfinden, aber natürlich im geringeren Umfang.

Der Politikprofessor Hans J. Kleinsteuber mahnte in der taz, das Studium werde verschult. Es werde nur noch ein Kodex abfragbaren Wissens verabreicht, dafür ginge forschendes Lernen verloren.

Das stimmt so nicht. Wenn Herr Kleinsteuber das so plant, hat er die Universität missverstanden.

Er nicht. Es seien die Akkreditierungsagenturen, die die Studiengänge zulassen, die sehr viele Veranstaltungen zur Pflicht machten.

Das wird bewusst von denjenigen vorgetragen, die sich vor Verbindlichkeit drücken wollen. Es ist gerade gegenüber den Studierenden absolut notwendig, dass eine Hochschule in der Lage ist, klar zu sagen, was mit einem Studium erreicht werden soll. Und, dass sie sagt, welchen Aufwand ein Studierender in ein bestimmtes Studium hineinstecken muss. Es ist vielen Hochschulen schwer gefallen, sich auf ein tatsächlich auch in sechs Semestern studierbares Pensum zu beschränken. Hier haben die Akkreditierungsverfahren einen großen Wert gehabt.

Würden Sie sagen, das Bachelorstudium ist erstens bewältigbar, zweitens nicht zu verschult, drittens auch etwas wissenschaftlich und viertens qualifiziert es für den Beruf?

Ich halte es für deutlich bewältigbarer und planbarer, weil ich mich auf Grund der Kreditpunktsysteme und des erwarteten Arbeitsaufwands besser selbst organisieren kann. Gerade im universitären Bereich ist auch das wissenschaftliche Element vorhanden. In der Frage Berufsbefähigung bestätigen die Erfahrungen aus dem Ausland die Akzeptanz. Für gute Statistiken in Deutschland werden wir noch warten müssen.

In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt heißt es, das Arbeitsfeld der Bachelor liege „eher im Bereich der Sachbearbeitung und ausführender Tätigkeiten“. Verantwortung werde ihnen seltener übertragen, das Gehalt sei niedriger. Klingt wenig attraktiv.

Man darf nicht verkennen, dass wir gleichzeitig versuchen, die Anzahl derjenigen, die überhaupt einen akademischen Abschluss erhalten, zu erhöhen. Es wird Berufe geben, die früher nicht akademisch waren, die künftig mit Bachelor besetzt werden. Und es wird Berufe geben, für die sich Bachelor eignen. Wenn dies bereits international funktioniert, wüsste ich nicht, wieso es in Deutschland nicht funktionieren soll.

Aber es bleibt das Risiko, ohne Job dazustehen. Warum darf nicht jeder, der kann und möchte, Master studieren?

Ebenso wie es für Studienanfänger begrenzte Kapazitäten gibt, sind auch die Masterplätze begrenzt. Auch früher hat beispielsweise nicht jeder Magister promoviert.

Die Bachelor-Master-Umstellung ist Thema des nächsten taz-salons am 8. 11., 20 Uhr, Kulturhaus 73