Zu groß für England

Die Ballettmeisterin Jacqueline Davenport über Bremen, sein Theater, Körpergröße und den Regisseur Johann Kresnik. „Ich fand es sehr schön und wollte ein Jahr bleiben...“

Eigentlich kam Jacqueline Davenport, seit 1986 Ballettmeisterin am Theater Bremen, weil sie zu groß ist. Aber fangen wir von vorne an: Die gebürtige Londonerin ließ sich in ihrer Heimatstadt zur Tänzerin ausbilden. „Ich war an einer sehr guten Schule in London, aber ich war für die damalige Zeit als Tänzerin mit meinen 1,68 Meter zu groß für England. In Deutschland war gerade George Balanchine in Mode, und der hatte sehr große Tänzerinnen. Von da an begannen einige Choreografen, größere Tänzer zu engagieren. Ich fing in Mannheim an, da waren sie alle groß, dann ging ich nach Frankfurt. Die Kriminalitätsrate war damals hoch. Ich wohnte am Main, und jeden Tag, wenn ich zum Theater gegangen bin, habe ich furchtbare Sachen erlebt. Menschen wurden abgestochen, ich wurde mehrmals attackiert – es war keine schöne Zeit.“

Dann kam ein Angebot aus Bremen. Davenport erinnert sich noch genau: „An dem Tag, als ich in Bremen vorgetanzt habe, hat es geschneit. Es war das schwerste Vortanzen meines Lebens. Es waren die Schlussproben zu ‚Kriegsanleitung für Jedermann‘ von Kresnik. Kresnik wollte alle Tricks sehen. Aber ich bekam den Job. Es war eine unheimlich schöne Atmosphäre in der Stadt. Ich kam heraus und wusste nicht mehr, wie ich zum Bahnhof kam. Da hat mich ein Herr, der vielleicht 50 Jahre alt war, den ganzen Weg zum Bahnhof begleitet. Als ich dann hierher zog, fand ich vor allem den Ostertorsteinweg mit seinen kleinen Bistros und Cafés sehr schön: boheme-haft, sehr leger, es gab fast keine Autos auf der Straße. Später kamen Peepshows und ein Sexladen nach dem anderen. Das Viertel hat mich an einige Teile Londons erinnert. Ich fand es sehr schön und wollte ein Jahr bleiben…“ Es wurden mehrere Jahrzehnte. daraus.

Es war Johann Kresnik, der dafür sorgte, dass sie blieb. Davenport traf ihn vor dem Theater. Kresnik sagte: „Du musst unterrichten.“ Davenport meinte, dass werde sie niemals tun, aber Kresnik hatte schon alles in die Wege geleitet. Davenport fügte sich in ihr Schicksal und verbrachte ihren Urlaub in den folgenden Jahren mit einer pädagogischen Ausbildung. „Jetzt liebe ich es, zu unterrichten. Es ist immer wieder spannend. Jeder Mensch ist eine eigene Welt.“

Neben ihrer Arbeit als Trainerin der Tanzcompagnie des Theaters arbeitet Davenport als Choreografin für die Oper. „Ich arbeite gerade wieder daran, ein festes Ensemble aufzubauen. Im Moment suche ich ganz dringend Jungs.“ Wenn die Zeit es erlaubt, folgt sie dem Ruf in andere Städte, um dort zu arbeiten. „Aber ich bin schon so lange hier, da kriegt man ein anderes Gefühl für das Haus. Ich begann als Tänzerin, wurde Solistin, dann Pädagogin, dann Choreografin. Das sind schon meine Wurzeln. Und ich möchte dem Haus auch gern treu bleiben.“ Und manchmal steht sie auch selbst auf der Bühne: In „La Traviata“, im Januar wieder zu sehen, hat sie zwei Auftritte. „Das war ein Vorschlag von Stefan Klingele, der damals Generalmusikdirektor war. Es macht Spaß. Solange man auf der Bühne etwas auszusagen hat, sollte man das machen.“

Da bleibt wenig Zeit, das kulturelle Angebot der Stadt wahrzunehmen. „In Bremen ist in den letzten Jahren viel passiert. Das Musikfest, die Off-Gruppen wie das Tanzwerk, das Junge Theater, die Schwankhalle – es findet eine Menge statt. Man kann gar nicht alles machen. Manchmal ist es ja auch Konkurrenz für uns…“ Und soweit möglich, hält sie sich da natürlich auf dem Laufenden. „Wir proben viel am Abend oder haben Vorstellungen. Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Und das sind ja auch die Zeiten, wo die anderen spielen.“ Was sie sonst an Bremen schätzt: „Dass es kompakt ist, aber trotzdem ein Flair von Größe hat. Am meisten hat mich beeindruckt, dass die Menschen sehr locker sind, man hört sich zu.“ Zurzeit arbeitet sie an „Hänsel und Gretel“ und der „Csárdásfürstin“. asl

„Hänsel und Gretel“, Premiere am 7.12., 19.30 Uhr, „Die Csárdásfürstin“, Premiere am 29.12., 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz