Als die Wände atmeten

Wahnsinn und Feng Shui

Es war nicht gut in der Wohnung. Die Dinge schienen nicht zueinander zu passen und ich nicht zu den Dingen. Ich hatte mir angewöhnt, den Schreibtisch ein oder zwei Mal am Tag zu verrücken. An schönen Tagen war es zum Beispiel unerträglich, beim Schreiben an die dunkle Wand zwischen den beiden Fenstern zu gucken. Dann schob ich den Schreibtisch ein wenig mehr in das Zimmer hinein und setzte mich so, dass die Wand in meinem Rücken war. Wenn es draußen dunkel wurde, stellte ich wieder um, weil mich der Blick in das beleuchtete Zimmer beim Schreiben irritierte.

Einige Tage hatte ich den Schreibtisch auch so gestellt, dass ich fast neben dem Fenster saß und die Menschen an ihren Schreibtischen auf der anderen Straßenseite betrachten konnte. Das hatte aber den Nachteil, einem vollgestellten, dunklen Bücherregal gegenüberzusitzen, was mich wahnsinnig machte und in der Feng-Shui-Forschung belegt ist.

Dann kam der Herbst. Ein polnischer Freund, dessen Einrichtungsgeschick ich bewundere, kam zu Besuch. Ich fragte ihn, was er in meiner Wohnung ändern würde, welche Möbel ich wegschmeißen und wie ich die Übriggebliebenen arrangieren solle. Er möge mir das sofort sagen. Er ging hin und her, überlegte eine Weile und sagte: „Reiß die Rauhfasertapeten ab. Dann wirst du wieder klarer sehen.“ Ich dankte ihm, wir rauchten noch eine Zigarette, dann ging er.

Am Abend begann ich, die ersten Stücke aus der Haut der Wohnung zu reißen. Nasse Fetzen hingen von den Wänden, wenn ich auf Pause drückte. Die Wände atmeten auf. Ich packte die Wohnung aus wie ein Geschenk, das ich vergessen hatte auszupacken; vielleicht auch anders.

DETLEF KUHLBRODT