„Linker Abwehrreflex“

VORTRAG & DISKUSSION Sebastian Voigt spricht über die Verbreitung von Antisemitismus in der Linkspartei

■ 33, Doktorand an der Uni Leipzig, verfasste mit Samuel Salzborn die Studie „Antisemiten als Koalitionspartner“ über die Linke

taz: Herr Voigt, der Bremer Landessprecher Christoph Spehr hält die Linkspartei nicht für antisemitischer als andere …

Sebastian Voigt: Die Aussage ist sehr problematisch. Zu sagen, die Linke sei genauso rassistisch wie andere Parteien, ist für Linke doch auch undenkbar. Ein bestimmter Anteil an Antisemitismus wird aber scheinbar geduldet. Dabei müsste gerade die Linke dafür sorgen, dass solche Positionen gar nicht vorkommen.

Auf Ihrer Veranstaltung geht es um Antisemitismus in der Linken. Wie steht es damit in Bremen?

Der Bremer Landesverband ist weder Israel-feindlicher noch Israel-freundlicher als die Bundespartei.

Ist Israel-Feindschaft mit Antisemitismus gleichzusetzen?

Antisemitismus äußert sich heutzutage primär im Antizionismus, ist damit aber nicht identisch. Es geht darum, wann die Israel-Kritik dahin umschlägt. Die Grenze ist fließend und wird immer wieder überschritten.

Warum sprechen Sie nicht über die CDU?

Eine berechtigte Frage. Eine vergleichbare Studie wie die von Samuel Salzborn und mir zur Linkspartei wäre für alle Parteien angebracht. In der FDP gab es Jürgen Möllemann, in der CDU Martin Hohmann. Der jedoch wurde von der CDU rausgeschmissen. In der Linken wurden die Bundestagsabgeordneten, die sich an der Gaza-Flottille beteiligt haben, für ihre Mission beglückwünscht, obwohl die Flotte von reaktionären Kräften organisiert worden war.

Viele derer, die in Bremen im März zum Israel-Boykott aufriefen, sind seit Jahren antifaschistisch aktiv.

Ich glaube, es ist ein gutes Beispiel für den linken Abwehrreflex: Weil man antifaschistisch ist, könne man nicht antisemitisch sein. Das liegt an einer bestimmten Vorstellung über den Nationalsozialismus.

Die da wäre?

Als zentrales Ideologem des Nationalsozialismus werden dann eher der Antikommunismus oder die pro-kapitalistischen Elemente angesehen, nicht aber der Antisemitismus. Die Gründung Israels jedoch ist eine Konsequenz der Judenvernichtung. Wird die aber nicht als zentrales Element des Nationalsozialismus angesehen, kann man etwa auf die Idee kommen, die Juden mit Nazis zu vergleichen, oder ihnen vorwerfen, aus Auschwitz nichts gelernt zu haben. Das kann dann sogar mit einer antifaschistischen Einstellung begründet werden. Für mich ist es das Gegenteil. Interview:
jpb

Samstag, 19.30 Uhr, DGB-Haus, Bahnhofsplatz 22