TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Permanenter Vorrat an Möglichkeiten

In großen Lettern hatte jemand an sein Fenster geschrieben „Heute bin ich glücklich“. Das verwirrte die Passanten. Und ich überlegte, wann mir jemand zuletzt gesagt hatte, dass er glücklich sei. Ein paar Ecken weiter hing an einer Hauswand ein Plakat mit dem Slogan „Stoppt die Gier“. Und ich dachte, in einer Zeit, in der Gier das dominante Gefühl zu sein scheint, kommt das Bekenntnis zum Glücklichsein an einem einzelnen Tag einem Postulat gleich. So, als würde man eine zentrale emotionale Herausforderung des Finanzkapitalismus ignorieren und einfach aussteigen, indem man die Sättigung behauptet.

Gier ist nicht einfach bloß die individuelle Macke einiger Banker und Manager. Die Tatsache, dass wir überhaupt in monetarisierten Gesellschaften leben, stellt was mit uns an. Mit Marx gesprochen, ist Geld, so wie die Ware, nicht bloß ein Realobjekt, sondern eine soziale Form, das heißt: eine nicht direkt durchschaubare Verobjektivierung sozialer Beziehungen. Und dann ist es auch noch libidinös besetzt, das Geld.

Eine schöne Analyse, die das Geld ins Fadenkreuz von Marx und Freud nimmt, findet sich in der Anthologie „Geld“ (Psychosozial-Verlag, 2011). Rolf Haubl, Direktor des Sigmund-Freud-Instituts, zeigt darin, weshalb Geld und Gier zusammengehören. Die kapitalistische Warenproduktion verlange Konsumenten, die keine Sättigung kennen, folglich müsse sie nicht nur Waren, sondern auch immer neue Bedürfnisse produzieren, die wiederum nach der Logik des Geldes strukturiert und damit unendlich würden, weil Geldbesitz auf einer Skala abgetragen werde, die nach oben offen ist. „Als Gut, in dem alle käuflichen Güter aufgehoben sind, verweist Geld zudem immer über die Gegenwart hinaus: Es hält Möglichkeiten für Befriedigungen vorrätig, für die es in der Gegenwart noch gar keine Bedürfnisse gibt“. Alle gekauften Güter sind enttäuschungsanfällig, einzig für das Geld gelte das nicht, weshalb es der Logik des Systems entspreche, das Geld selbst zu einer endlos nachgefragten Ware zu machen. Das ist eine schöne Erklärung für den Übergang von der Real- zur Finanzwirtschaft. Und leider eine schöne Erklärung dafür, weshalb die Gier nicht einfach zu stoppen sein wird.

Die Autorin ist Redakteurin im Kulturressort der taz Foto: privat