„Ein Jodler ist Gesang ohne Text“

Wenn Berlin das Jodeln entdeckt, wird sich dessen rührseliges Image ändern, sagt Jodellehrerin Ingrid Hammer

INGRID HAMMER, geboren in Graz, ist Regisseurin, Dramaturgin und Schauspielerin und hat das Theater Tiefenenttrümmerung mitbegründet.

taz: Frau Hammer, was ist Jodeln?

Ingrid Hammer: Jodeln nennt man in den Alpenländern eine Gesangstechnik, bei der ganz schnell von der Bruststimme in die Kopfstimme gewechselt wird. Es gibt auf der ganzen Welt Ethnien, die jodeln. Die Baka-Pygmäen in Zentralafrika, die Ainu in Japan, die Mongolen. Die nennen das natürlich anders. Bei den Lappen heißt ein Jodler etwa Joik. In der Schweiz sagt man dazu auch Zääuerli.

Ist Jodeln schwer?

Kinder lernen das ganz schnell, weil sie gerne mit der Stimme experimentieren. Für Erwachsene ist das manchmal schwieriger.

Wie entsteht ein Jodler?

Ein Jodler ist erst mal Gesang ohne Text. Bei den Naturjodlern singt man langgezogene Töne, Vokale. Mit bestimmten Vokalkombinationen wird dann das Register zwischen Kopf- und Bruststimme gewechselt. Meistens gibt es den Umschlag von O nach I oder U, und von A nach I oder U. Regional verschieden werden Konsonanten dazugesungen. In der Steiermark, wo ich herkomme, macht man das gern, in der Schweiz ist es dagegen verpönt.

Ein Jodler ist also kein Lied?

Ja. Aber es gibt Jodellieder. Da wird ein Lied mit Jodlerpassagen durchbrochen.

Ist beim Jodeln ist die Vielstimmigkeit wichtig?

Die ist nicht wichtig. Alle Jodler, die auf Juchzern, so einem Zuruf, basieren, sind einstimmig. Forscher nehmen an, Jodeln sei aus solchen Zurufen unter Hirten entstanden. Das erklärt die ursprüngliche Einstimmigkeit. Mehrstimmige Jodler können nur beim Zusammensitzen entstehen. Die Leute, die zusammen jodeln, kennen sich in der Regel gut. In der Steiermark singt meistens einer an und zwei andere Stimmen kommen hinzu als Begleitung. Es gibt aber wenig Jodler, die ausformulierte Mehrstimmigkeit haben.

Gibt es eine Jodelphilosophie?

Viele. Auch mystisch verklärte. Tatsächlich ist es so, dass das Jodeln bei den meisten Leuten ein Wohlbehagen auslöst, obwohl es eine Melancholie ausstrahlt. Man kann klagen, aber es ist trotzdem schön und beseligend.

Wie sind Sie zum Jodeln gekommen?

In einem Teil meiner Familie, er lebt in der Nähe von Graz, gibt es viele Jodler. Die haben eine Jodelgruppe und treten auf. Ich kenne sie gar nicht persönlich, aber ich singe Sachen von denen. Selbst jodeln gelernt habe ich von der mongolischen Sängerin Sainkho Namtchylak.

Warum gilt Jodeln als rührselig und simpel?

Wahrscheinlich, weil Jodler vor allem in Volksmusiksendungen zu hören sind. Deren Jodelei hat aber mehr mit Popmusik zu tun als mit Naturjodlern.

Wird sich das Image ändern, wenn Berlin das Jodeln entdeckt?

Das glaub ich schon.

INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB