„Ihr macht den Islam schlecht“

Die Erarbeitung des Shakespeare-Klassikers „Romeo und Julia“ führt bei einer Bremer Schultheatergruppe zu produktiven Konflikten. Das Thema: Zwangsheirat

von Henning Bleyl

Einmal sterben langt nicht. Gleich dreimal stößt sich Julia den Dolch in den Bauch, schließlich hat Romeo auch dreimal Gift genommen. Das Sterben der beiden bedingt sich gegenseitig, auch in der gemeinsamen Theateraula von Gesamtschule Ost und der Schule in der Waliser Straße entfaltet das mörderische Pingpong seine Faszination: „Und nun bin ich es, der Schuld ist an Deinem Scheiße-Tod.“

Der Grundkurs „Darstellendes Spiel“ verpflanzt den Shakespeare-Plot in die deutsch-türkische Gegenwart. Das Interessante daran ist sowohl die Begabung vieler der Dreizehntklässler, als auch die Heftigkeit des Konflikts, der während der Proben auftrat: „Romeo und Julia“ ist nicht nur ein Stück über Sippenfeindschaft und absolute Ehrbegriffe, sondern auch über Zwangsheirat.

Holger Möller, der Theaterlehrer, hat einen Text über den Alltag einer gegen ihren Willen verheirateten Muslimin von Ayaan Hirsi Ali in die Gruppe gegeben. „Die islamischen Frauen in der Gruppe waren sich nach einer längeren Diskussion unter sich einig, dass der Text ins Stück soll“, erzählt Möller. Unter den türkischen Jungs seien einige dagegen gewesen. Genau diese Konflikte können die ZuschauerInnen jetzt auf der Bühne nachvollziehen. „Mein Bruder nervt, er behandelt mich wie sein Eigentum“, klagt die Julia-Darstellerin – nachdem sie einer ihrer Mitspieler derb angemacht hat, weil sie zu eifrig mit der Romeo-Besetzung probte.

Die theatralen Ebenen vermischen sich, was das Stück nicht nur dramaturgisch interessant macht, sondern auch inhaltlich ziemlich auflädt. Soll Julia symbolisch ein Kopftuch tragen, während sie von Vater Capulet an einen fremden Ehemann vergeben wird? „Wenn Ihr das Stück so spielen wollt, dann gehe ich!“, schreit ein Mitspieler. Im echten Leben hat er das auch gesagt, ist aber geblieben. Dafür gibt es unter den ZuschauerInnen Unmut: „Ihr stellt den Islam so schlecht dar, dass man das kaum glauben kann, ich finde das einfach nur scheiße von euch!“ ruft ein Schüler bei der anschließenden Diskussion.

Der Theaterkurs verteidigt sich: „Wir sind doch selber Muslime“, sagt Timur, ein Dreizehntklässler von der Waliser Straße. „Aber wir dürfen nicht zulassen, dass uns diese altmodischen Traditionen wie Zwangsheirat im 21. Jahrhundert noch überrumpeln.“ Beide Seiten bemühen Koran-Zitate, wobei schnell klar wird, dass Zwangsheirat keine Frage der Religion ist – siehe Shakespeare. Als der Moderator Schluss machen will, kommt Widerspruch: „Wir wollen auch noch was sagen“, kommt es von verschiedenen Seiten. Einem jungen Türken ist wichtig: „Ich war schon auf 20 Hochzeiten, wo alle glücklich waren.“

Nach einer Reihe schulinterner Aufführungen soll im Januar Seyran Ates an die Schule kommen. Die vielfach bedrohte Juristin hat erst vor kurzem ihre Arbeit als Anwältin in Scheidungsverfahren wieder aufgenommen. Derweil hat die Theatergruppe ein neues Ziel ins Auge gefasst: „Wir wollen unser Stück in Kreuzberg spielen“, verkündet Timur nach einer Beratung in der Umkleide.

Öffentliche Aufführung: Freitag, 20 Uhr, Schule an der Waliser Straße