Der Einfluss von Altnazis

LANDESPOLITIK Forscher untersuchen, wie Ex-Nationalsozialisten in der schleswig-holsteinischen Politik Fuß fassten

Während der Weimarer Republik und in der Nazizeit war Ernst Kracht Landrat in Dithmarschen, in den 1950er-Jahren leitete das frühere NSDAP- und SS-Mitglied die Staatskanzlei in Kiel. Mit NSDAP-Parteibuch agierte Helmut Lemke in Eckernförde und Schleswig als Bürgermeister, von 1963 bis 1971 war er als CDU-Politiker Regierungschef in Kiel und danach bis 1983 Landtagspräsident. Die Rolle ehemaliger Nationalsozialisten in der Landespolitik und der Verwaltung erforschen Wissenschaftler in einem Projekt, das sie im Frühjahr 2016 abschließen wollen. Dies sei ein Kernthema der Parlamentsgeschichte, sagte Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU).

Die Forscher untersuchen die Biografien von 400 früheren Ministern, Staatssekretären und Landtagsabgeordneten, wie Projektleiter Uwe Danker vom Institut für Zeit- und Regionalgeschichte der Uni Flensburg sagte. Kriterium: Sie müssen vor dem 1. Januar 1928 geboren worden sein. Ihr Wirken reicht bis 1992. Bei vielen sei die Angelegenheit komplex, so Danker. Die Bandbreite sei so groß, dass statt Schwarz-Weiß-Rastern im Ergebnis Grautöne überwiegen.

Die Wissenschaftler gehen auch der Frage nach, ob Schleswig-Holstein ein besonderer Rückzugsort für ehemalige Nationalsozialisten und NS-Gewalttäter war. Einiges spreche für diese These, sagte Danker. Eindeutig belegt sei das bisher nicht. Die Forscher wollen ebenfalls klären, ob und in welcher Form sich ehemalige Täter zu Mitwirkenden im parlamentarisch-demokratischen System wandelten. Für das Projekt wurden 100.000 Euro veranschlagt.  (dpa)