Auf der Suche nach dem Atomklo

Bei einer Konferenz in Braunschweig diskutieren 270 Experten aus 16 Ländern über Atommüll-Endlager. Die Fachleute kritisieren die aufgeregte Debatte in Deutschland. Umweltminister Gabriel attackiert Bayern und Baden Württemberg

Niedersachsens Grüne haben eine unabhängige Forschung im ersten deutschen Hochschulinstitut für die Endlagerung von Atommüll bezweifelt. „Die Lösung des Endlagerproblems in Deutschland ist wichtig, eine ergebnisoffene und unabhängige Forschung muss jedoch gewährleistet werden“, sagte die Hochschulexpertin Gabriele Heinen-Kljajic. Sie kritisierte, dass die Professur von der Gesellschaft für Nuklear- Service (GNS) und damit von der Atomwirtschaft gesponsert werde. Da werde „der Bock zum Gärtner gemacht“. Die auch für die Castor-Transporte zuständige GNS habe ein „eindeutiges Interesse an der Einrichtung eines Untertagelabors im Gorlebener Salzstock“ und „an der Inbetriebnahme des Endlagers in Gorleben“. Die Grünen verlangen in der Landtagssitzung kommende Woche Auskunft, ob die „Freiheit von Lehre und Forschung“ den Interessen der Atomlobby geopfert werde. TAZ

AUS BRAUNSCHWEIG KAI SCHÖNEBERG

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, zitiert Hans Riotte ein afrikanisches Stichwort. Der deutsche Endlager-Experte, der in Paris bei der OECD-Agentur für Atomenergie AENNEA arbeitet, blickt mit großem Unwohlsein auf die hiesige Dauerdebatte um Atommüll. Wenn sich die politischen Lager nicht einigen, müsse man das Problem eben auf die Zukunft verlagern. Technisch sei das bislang angepeilte Jahr 2030 für die Inbetriebnahme eines Endlagers für hochradioaktiven Müll gar nicht nötig, sagt Riotte. Und: „Die Genehmigung von Autobahnen oder Flughäfen dauert auch 30 Jahre oder länger.“

Wernt Brewitz von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) wird dagegen ungeduldig, wenn er an die seit Jahrzehnten schwelende deutsche Endlager-Diskussion denkt: „Wir brauchen Political Leadership, endlich muss jemand sagen, wo’s langgeht“, sagt der Geologe.

Schauplatz Stadthalle Braunschweig, die GRS und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) haben 270 Endlager-Experten aus 16 Ländern geladen, um vier Tage lang über Atommüll zu diskutieren. Über den neuen Trend zur langfristigen Zwischenlagerung. Über die technisch noch nicht ausgereifte „Transmutation“, die Umwandlung des radioaktiven Mülls in unschädliche Isotope. Über die Endlagerdebatte in anderen Ländern.

„Unsere Kinder sollen lachen, nicht strahlen“ und „Asse-Flutung stoppen“, steht auf Transparenten vor dem Tagungsort. Daneben ein riesengroßer Plastik-Meiler mit einer Rakete anstelle eines Schornsteins. Aufschrift: „Zeitbombe Atomkraft“. Initiativen aus den vier deutschen Endlager-Standorten in der Region haben zu Protest und Mahnwachen vor Ort aufgerufen. Bereits am vergangenen Montag besetzten Atomkraft-Gegner der Umweltorganisation Robin Wood anlässlich der Veranstaltung das abgesoffene Versuchs-Endlager Asse II (taz berichtete).

Genau die richtige Gemengelage für den Political Leader Sigmar Gabriel. „Ich habe zwei Endlager in meinem Wahlkreis“, sagt der SPD-Bundesumweltminister. Als er an diesem Dienstagmorgen vor der Stadthalle ankommt, wird er umgehend von Reportern und einem als Sensenmann verkleideten Atomkraftgegner flankiert. Gern erklärt Gabriel, dass die anderen schuld sind, dass es nicht voran geht: Er finde es „unfair und auch ein bisschen feige“, dass sich ihm ausgerechnet die unionsregierten Länder Bayern und Baden-Württemberg verweigern. Dabei, dass bei einer Endlagersuche, für die Gabriel im kommenden Jahr Sicherheitskriterien nennen will, auch Standorte in ihrem Beritt mit einbezogen werden könnten. „Man kann nicht erst Standorte auswählen und dann die Kriterien“, sagt Gabriel mit Blick auf den Salzstock in Gorleben.

Gorleben wurde zwar bis zum Jahr 2000 erkundet, aber ob es der „bestmögliche Standort“ für ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll ist, will Gabriel erst noch herausfinden.

Sagt er jedenfalls. Nicht nur Gabriel kritisiert an diesem Tag die „weitgehend isolierte Debatte“ in Deutschland – und verweist aufs Ausland: Auf die Schweiz zum Beispiel, wo 2040 ein Endlager in Betrieb gehen soll, ohne dass die Bevölkerung groß aufgemuckt hätte.

„Beeindruckt“ hat Ulrich Kleemann von der BfS der Vortrag seines Kollegen aus Schweden. Bei den zwei dort noch zur Auswahl stehenden Endlagerstandorten hätten sich in Umfragen bis zu 80 Prozent der befragten Anwohner dafür ausgesprochen. 2020 soll ein Standort in Betrieb gehen. Davon ist Deutschland weit entfernt. Die Skandinavier hätten die Standortsuche eben transparent geregelt: „Man muss nüchterner an die Sache rangehen“, sagt Kleemann.

„Wenn ein Alien hier reinkäme“, sagt Peter Dickel, „das würde meinen, es geht voran.“ Dickel ist kein Außerirdischer, er streitet seit Jahren gegen ein Atommülllager im ehemaligen Erzbergwerk Schacht Konrad. „Über die Probleme wird hier nicht gesprochen“, kritisiert Dickel. Er verweist auf den Vortrag des OECD-Experten Riotte: „Man kann nur Vertrauen in die Endlagerung schaffen, wenn man die Sicherheit nachweist. Genau das ist aber bislang nicht gelungen.“ Dickel findet auch logisch, dass in den zur Auswahl stehenden Endlager-Standorten in Schweden die Mehrheit der Befragten für ein Atommüll-Klo vor Ort gestimmt hat: „Dort gibt es schon vier Atomkraftwerke.“