Das Hässliche des Außenseiters

KUNST Die Malerei von Tobias Lange zeigt das Monströse in der Popkultur. Ohne Moral und morbide Heimeligkeit zwar – dafür mit sichtbarer Freude am Makabren

Tobias Langes Malerei dokumentiert eine Neugier aufs Abseitige, in dem man sich zurechtfinden muss

VON JAN-PAUL KOOPMANN

Totenschädel, monströse Gestalten und Einsamkeit: Die Malerei von Tobias Lange ist morbide, wohlige Schauer erzeugt sie darum aber nicht. Die Arbeiten wirken wie eilig hingekritzelte Wutausbrüche – hässliche Szenen wie von der Schulbank eines Außenseiters, um den man sich Sorgen machen sollte.

Zu sehen sind Langes Gemälde und Zeichnungen derzeit im „Projektraum 404“ in der Neustadt. Der hat vor nicht mal einem Jahr mit belgischen Underground-Comics losgelegt und zeigt in dieser seiner fünften Ausstellung nun erstmals einen Bremer Künstler. Vom „Underground“ allerdings ist das so weit nicht weg – und vom grafischen Erzählen auch nicht.

Da sind etwa die geflügelte Totenschädel, die als wiederkehrendes Motiv auf vielen von Langes Arbeiten herum flattern. Obgleich die hochgradig symbolisch sind, erscheinen sie weniger als Metaphern denn als Geschöpfe mit popkulturellem Eigenleben. Ein Totenkopf, dem flossenartig ein Stück Wirbelsäule anhängt, erscheint als groteske Lebensform – wie Spermium aus Knochen. Ein einzelner Satz darunter fasst den mehrdeutigen Schwebezustand der Kreatur: „At least I don’t know what I am.“

Mit Identitätsfragen plagen sich die meisten von Langes Geschöpfen. Über dem ausdruckslosen Gesicht eines Golems etwa stehen grob übermalt die Worte „desperate“ und „lonely“ – übrig blieb „lone“. Und das ist eben nicht nur eine Bewegung des Zurechtkommens, sondern auch eine zur selbstbewussten Popfigur: der „Lone Golem“.

Auf den Gemälden bewegen sich die Geisterwesen auf grob strukturierten Flächen – wie auf Hauswände gemalt, denen langsam der Putz abhanden kommt. Auf den gut 20 Zeichnungen, die im zweiten Raum dicht an dicht hängen, stehen sie für sich – und wirken noch vergänglicher. Das gilt selbst für das Material: Das Papier ist verfärbt und an den Rändern geknickt. Für diese Ausstellung wurden sie zum ersten Mal gerahmt. Anderswo hingen sie schon an Schnüren oder einfach direkt an der Wand.

Thematisch bewegt sich Lange an den subkulturellen Rändern des Pop – irgendwo zwischen Satanischem, hässlichem Sex und Faschismus. Bewertet wird das nicht. Die Arbeiten dokumentieren eher die Neugier aufs Abseitige, in dem man sich zurecht finden muss. Die Anspielungen vom Johnny-Cash-Zitat bis zum trashigen Horrorfilm sind Pointen auf Probleme, mit denen sich andere herumgeschlagen haben. Das sind „Insider Gags“, die sich nur denen erschließen, die bereits drin stecken – im „Underground“.

Und damit sind sie zugleich draußen, außerhalb von gesellschaftlicher und ästhetischer Konvention. Lange verortet sich selbst in der Art Brut oder Outsider-Art – also weniger in einer Stilrichtung als einem Selbstverständnis als Künstler. Zur Outsider-Art zählen Arbeiten von Inhaftierten oder aus der Psychiatrie. Lange hat solche Werke kuratiert und sie 2011 im Rahmen seiner Festival-Reihe „Folk-Art Now!“ gezeigt.

Vom anti-akademische Gestus des Genres ist bei Lange allerdings nicht viel zu spüren. Kunst hat er schließlich studiert – und auch von der etablierten Szene ist er soweit nicht weg mit seinem Wirkungsort am Güterbahnhof. Da malt er nicht nur, sondern arbeitet auch mit Installationen, Video- und Maschinenkunst.

Das macht er unter wechselnden Pseudonymen. Als „Bornweilder“ zum Beispiel hat er vor ein paar Jahren die deutsche Erstausgabe des Romans „Nackig in Garden Hills“ von Harry Crews illustriert. Der Südstaaten-Literat ist in den USA seit Jahrzehnten eine Szenegröße, die deutschsprachige Veröffentlichung ist ein spätes Verdienst des Bremer Kleinverlags „Mox und Maritz“. Mit Crews und Lange kommen Bild und Erzählung dann endgültig zusammen: in surrealem Grausen hinter folkloristischer Fassade.

Ausstellung noch bis zum 15. März, Projektraum 404, Hegelstraße 38