Der Wundertäter

FOTOGRAFIE Baurat Rudolf Hillebrecht hat geprägt, wie Menschen Hannover bis heute erleben. Für beides interessiert sich der Fotograf Arne Schmitt

„Das Hannover von heute“, so stand es 1961 in der Allgemeinen Bauzeitung, „ist in der Hauptsache das Werk des Stadtbaurats Hillebrecht“: Jenem Rudolf Hillebrecht, ab 1948 verantwortlich für den Wiederaufbau der schwer kriegszerstörten Stadt, sei es zu verdanken, dass Hannover „heute als beispielhaft gilt“. Abzulesen war das von der damaligen Warte aus daran, dass die Stadt „zum Paradies der Autofahrer“ gemacht worden sei.

Der faksimilierte Artikel von 1961 ist der einzige Text im Buch „Geräusch einer fernen Bandung“. Darin spürt der 1984 geborene Fotograf Arne Schmitt dem nach, was eine Stadt besonders autofreundlich macht: In zunächst unspektakulären Farbaufnahmen folgt er Hannovers „City-Ring“. Markante Gebäude hat er nur nebenbei eingefangen. Prominent dagegen immer wieder: Stoßstangen, Bremslichter, Fahrbahnmarkierungen.

Wiederholt hat Schmitt sich schon mit den deutschen Innenstädten beschäftigt, gerade da, wo sie ihr Gesicht drastisch wandelten; hat immer wieder eine Planung und deren Realisierung inspiziert, die den Menschen vor allem als motorisierten dachte – und vielleicht noch als konsumierenden: In einem früheren Buch, „Wenn Gesinnung Form wird“ (Spector Books 2012), hatte neben Verkehrsachsen und Kreuzungsmonstren etwa auch das hannoversche Kröpcke-Center seinen Auftritt.

Mit den verbreiteten Übereinkünften, was schön sei und also erhaltenswert – und was, im Gegenteil, als Schandfleck bei nächster Gelegenheit abzureißen –, hält Schmitt sich nicht weiter auf: An der betonlastigen, auf den PKW-Verkehr hin optimierten Nachkriegsbebauung habe ihn unter anderem fasziniert, „dass es scheinbar völliger Konsens ist, über mehrere Generationen hinweg, dass diese Architektur hässlich und menschenfeindlich und nicht lebenswert ist“, hat er mal in einem Radiointerview gesagt. „Ich sehe das durchaus differenziert.“

Hillebrecht, ungezeigte Hauptfigur des Buches, wurde nicht bloß 1961 belobhudelt: Etwas früher hatte auch der Spiegel ein bauliches „Wunder von Hannover“ attestiert, später gab’s Ehrungen zuhauf. Doch sogar dieser Wohltäter ist einem sich wandelnden Zeitgeist unterworfen: in typischer Manier fragt die örtliche Bild 2009, warum der Mann, „der Hannover verschandelte“, bis heute Ehrenbürger sei.

Gerne ausgeblendet blieb dabei seine Vorgeschichte; verschwiemelt unterschlagen, wie sehr der einstige Zuarbeiter der NS-Großarchitekten Speer und Gutschow ein Beispiel bildet für die Kontinuitäten der deutschen Geschichte – und wie wenig da möglicherweise dran sein wird an den Bekenntnissen solcher Leute zu demokratischem Neuanfang und einem entsprechenden Bauen.  ALDI

Arne Schmitt: „Geräusch einer fernen Brandung“, Spector Books 2014, 128 S., 28 Euro