Offene Fragen

„TODESPFLEGER“-URTEIL

Die Patienten auf der Intensivstation seien für ihn wie leere Hüllen gewesen, eigentlich habe er Monitore behandelt, hat der Krankenpfleger Niels H. vor dem Landgericht Oldenburg gesagt. So war es möglich, dass er nach eigener Aussage bis zu 30 Patienten tödliche Spritzen verabreichte – um den Kick einer Wiederbelebung zu erleben, um mit einer geglückten Reanimation bei den Kollegen Eindruck zu machen. Nun hat ihn das Gericht am Donnerstag wegen zweifachen Mordes, Mordversuchs und Körperverletzung zu lebenslanger Haft verurteilt, wegen der besonderen Schwere der Schuld darf er nicht vorzeitig entlassen werden. Damit folgte das Gericht weitgehend der Staatsanwaltschaft, die Verteidigung hatte auf Totschlag und eine Freiheitsstrafe unter 15 Jahren plädiert.

Angeklagt war Niels H. wegen fünf Todesfällen; nachdem im Prozess klar wurde, dass er möglicherweise bis zu 200 Menschen tötete, ermittelt die Polizei erneut. Dies kann jedoch Monate dauern, zudem ist die Beweissicherung schwierig, da an der Klinik Delmenhorst, wo Niels H. unter anderem beschäftigt war, die Hälfte der Toten eingeäschert wurde.

Wie es möglich war, dass Niels H. über Jahre immer wieder tötete, ohne dass es auffiel: das ist eine der Fragen, die auch nach dem Prozess dringlich bleiben. Kollegen berichten vor Gericht, dass Gerüchte über Niels H. im Umlauf gewesen seien, dass es auffällig viele Wiederbelebungen in seinen Schichten gegeben habe. Nach seiner Festnahme stellt das Klinikum Delmenhorst eine Statistik zusammen, nach der sich die Todesrate in der Zeit, in der Niels H. auf der Intensivstation gearbeitet hat, nahezu verdoppelte. Auch der Verbrauch eines Herzmedikaments stieg deutlich an. Angehörige werfen der Klinik vor, Alarmzeichen vertuscht zu haben. Erst nach zwei Jahren flog Niels H. auf: eine Kollegin ertappte ihn auf frischer Tat.

Aber, und das ist eine weitere erschreckende Facette dieses Falls, die Staatsanwaltschaft bemühte sich kaum. Als H. 2006 erstmals wegen Mordversuchs vor Gericht stand, waren die Auffälligkeiten bereits bekannt, dennoch ermittelte die Staatsanwaltschaft nicht weiter und H. wurde lediglich wegen Mordversuchs zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Nur weil die Tochter eines der Opfer beharrlich blieb, kam es zu dem Prozess, der nun zu Ende gegangen ist – vier Jahre nach Beginn der Ermittlungen. Dafür entschuldigte sich der Richter bei den Angehörigen. Gegen zwei frühere Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht der Strafvereitelung im Amt.  GRÄ