Daneben geschossen

TÜRKIYEMSPOR Ist der Klub, der sich gern als liberal präsentiert, im Kern genauso homophob wie die meisten anderen Fußballvereine? Ein Besuch

■ 1978 als Freizeitverein unter dem Namen „Kreuzberg Gençler Birligi“ (Kreuzberger Junge Union) gegründet, benannten sich die Fußballer zunächst in BFC Izmirspor um. 1987 gab man sich den Namen „Türkiyemspor“.

■ Es folgten die Jahre des Ruhms: 1988, 1990 und 1991 war der Klub Berliner Pokalsieger; er spielte in der Oberliga Berlin, in der auch Hertha antrat. Türkiyem wurde zum bekanntesten Migrantenverein Deutschlands. Heute gibt es weltweit zahlreiche Vereine, die in Anlehnung an den Berliner Klub „Türkiyemspor“ in ihrem Namen führen.

VON JENS UTHOFF

Das eigentlichte Zentrum Türkiyemspors liegt direkt am Kotti. Nicht nur das Vereinsheim des Klubs – ein schlichter, schmuckloser Saal, in dem noch Trophäen aus anderen Zeiten stehen – ist wenige Meter von Kreuzbergs berühmtem Knotenpunkt entfernt. Auch wenn man sich mit Mitgliedern des Vereins trifft, landet man früher oder später im Herzen von „36“.

Mete Sener, der erste Vorsitzende von Türkiyemspor, sitzt an diesem Februarabend in seinem Reisebüro, von dem aus man Richtung Kottbusser Tor blickt. Der 57-Jährige rührt an seinem Schreibtisch in einem Tee, fragt, ob er rauchen darf, zündet sich eine Zigarette an, nachdem die Anwesenden bejaht haben, und spricht über die Interessenkonflikte in seinem Klub: „Solche Grabenkämpfe gab es schon immer. Es gibt manche, die sich ein linkeres Türkiyem wünschen; andere hätten gern einen nationalbewussteren Klub mit mehr türkischen Flaggen. Und wieder andere, dass man einfach nur Fußball spielt.“

Dabei herrscht doch eigentlich eisige Stille bei Türkiyem. Eine Art Ruhe nach dem Sturm. Was war passiert?

Im vergangenen Oktober gab es Zoff zwischen dem Vorstand des Klubs und der dritten Männermannschaft. Ein Jahr lang trug diese Elf das Logo des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) auf der Brust – als erstes Fußballteam in Deutschland. Es sollte ein weiteres integratives Signal seitens des Vereins sein, nach dem Motto: Seht her, es geht doch!

Zoff um 20 Euro

Bis, ja, bis sich der Vorstand und diese Mannschaft überwarfen. Am Anfang soll es nur um ausstehende Gebühren von 20 Euro gegangen sein. Am Ende aber wollte die Klubführung die Mannschaft vom Spielbetrieb abmelden. Der Vorwurf wurde laut, dies hänge mit ihrem Engagement gegen Homophobie zusammen. Auch Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg und seinerzeit zum Aufsichtsrat bei Türkiyemspor benannt, bewertete dies so: Er trat von seinem Posten beim Klub zurück.

„Mit Homophobie hat das nichts zu tun“, sagt nun Mete Sener. Für ihn gebe es schlicht ein Kommunikationsproblem zwischen Vorstand und dieser Mannschaft. Dabei gehe es nicht nur um Mitgliedsbeiträge, sondern auch um die Teilnahme am Vereinsleben. Es gebe aber sicher auch Personen im Verein, die nicht so tolerant gegenüber Schwulen und Lesben seien – „wie überall“, so Sener.

Aus Kreisen der dritten Mannschaft heißt es, man habe es mit einem Generationenkonflikt im Klub zu tun, der am Punkt Homophobie ausgeartet sei. „Alles, was im Kampf gegen Homophobie im Klub stattfindet, ist nun erst mal tot“, sagt ein Vereinsmitglied, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Als spezifisches Problem eines Klubs mit vielen muslimischen Vereinsmitgliedern will er dies nicht verstanden wissen – schon eher als Problem, das im Sport sehr offen zutage tritt: „Fußball und Homophobie – ’n eigenes Thema.“

Gut ein Jahr, nachdem das Coming-out des Exnationalspielers Thomas Hitzlsperger hohe Wellen schlug, ist sicher einiges in Bewegung im Fußball. Genauso sicher aber ist: Es gibt noch keinen selbstverständlichen Umgang mit Homosexualität bei den Kickern.

Für Sener geht es um Vereinnahmungen, die er nicht zulassen will. „Wir sind nicht die Zweigstelle des LSVD“, betont er. Sener, ein gemütlich und entspannt wirkender Mann mit gräulichem Haar, ist seit über 30 Jahren Mitglied im Klub. Er erzählt, wie sein Arbeitsplatz einmal eine Art Vereinskasino war: „In den 80ern saßen hier oft viele Leute in der Runde, der ganze Laden war voll. Ich kam kaum zum Arbeiten.“

Zu diesen Zeiten war sein Verein noch eine große Nummer im Berliner Fußball. Ende der 80er und Anfang der 90er stand Türkiyem – Türkisch für „Meine Türkei“ – kurz vor dem Aufstieg in die zweite Bundesliga. Doch seit Mitte der 90er bleiben die Erfolge aus, 2011 musste der Club Insolvenz anmelden. Es folgte der Fall in die Berlinliga und schließlich in die siebtklassige Landesliga. Das erste Männerteam, das einst vor mehr als 10.000 Zuschauern gegen Hertha oder Tennis Borussia kickte und auch schon die Bayern zu Gast hatte, steht in seiner Klasse derzeit auf Platz zehn – zwischen dem Adlershofer BC und dem Mariendorfer SV.

Ob erste oder siebte Liga: Denen, die in Türkiyem immer mehr sahen als nur den Fußballverein, war dies auch schon immer egal. Für Murat Dogan, Leiter der Mädchen- und Frauenfußballabteilung und Coach des ersten Frauenteams, steht die soziale Verantwortung über alles. Ihm kommen Konflikte wie die aktuellen nur zu bekannt vor. „Als ich angefangen habe, vor zehn Jahren Mädchen- und Frauenfußball bei uns zu etablieren, haben viele gesagt: ‚Eine solche Abteilung hat bei einem türkischen Klub nichts zu suchen‘ “, sagt er. Der 38-Jährige, der Trainingsanzug und seine Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden trägt, hatte schon zahlreiche Funktionen bei Türkiyemspor inne: Spieler, Trainer, Kassenwart, erster Vorsitzender. Er sitzt an diesem Abend in einer kleinen Turnhalle an der Blücherstraße beim Training der Mädchen zwischen einigen Eltern. Hier, in Kreuzberg 61, spielt sich das aktive Vereinsleben zumeist ab. Vom Spielfeld her, auf dem Mädchen zwischen drei und elf Jahren kicken, hört man es quietschen, kreischen, hallen.

Für Dogan sind die unterschwellig vorhandenen homophoben Einstellungen „eindeutig ein Ding aus der türkischen Community“ und hätten auch „kulturelle Gründe“. Er ist fest davon überzeugt, dass der integrative Gedanke, den Türkiyemspor zum Beispiel mit der Mädchenabteilung über Jahre nach außen getragen hat, nicht tot ist: „Seit Jahrzehnten versuchen wir, Menschen jeglicher Art zusammenzubringen“, sagt er. Der Klub sei immer dann am besten gewesen, wenn viele verschiedene ethnische und soziale Gruppen aufeinander getroffen seien.

Die Frauen sind topp

Bei den Frauen und Mädchen zumindest funktioniert dies gut. Insgesamt kicken etwa 150 Frauen und Mädchen im Klub, jährlich kommen 20 dazu. Das erste Team spielt in der vierthöchsten Spielklasse, „der Bundesliga am nächsten“, wie der Vorsitzende Mete Sener scherzt. Inzwischen ist Türkiyemspor der migrantische Klub mit der größten Frauen- und Mädchenfußballabteilung Deutschlands.

Dogan bewertet selbst die aktuelle Unruhe im Verein nicht nur negativ: „Diese Streitigkeit ist notwendig, das Thema muss in die Gesellschaft hineingetragen werden.“ Der Trainer erzählt auch, auf welcher Grundlage es überhaupt zur Zusammenarbeit mit dem LSVD kam: „Wir hatten eine gemeinsame Geschichte der Diskriminierung“, sagt er.

Türkiyem-Teams wurden vor allem in den 90ern auf fremden Plätzen oft mit Hassparolen empfangen – und werden dies zum Teil bis heute. Als sich die Übergriffe auf Schwule und Lesben in Kreuzberg 2008 häuften, so sagt er, sei die verstärkte Kooperation mit dem LSVD genau das richtige Signal gewesen: „Wir haben gemeinsam wirklich was bewegt!“ Zum Beispiel beteiligte sich auch Türkiyemspor an den vom LSVD initiierten „Respect Gaymes“. Dogan ist sich sicher, dass es bald einen Neuanfang – mit neuem Vorstand und frischem Wind – geben wird: „Wir werden es schaffen, jeden und jede mitzunehmen.“

Für ein Comeback des Klubs so es sagen alle unisono, muss aber erst mal das Insolvenzverfahren abgeschlossen sein. Diesbezüglich immerhin gibt es deutliche Signale: „Der angestrebte Insolvenzplan befindet sich auf der Zielgeraden“, teilt die zuständige Berliner Kanzlei Laboga mit. „Mit den wesentlichen Gläubigern des Vereins“ habe man eine Einigung erzielt: Sie verzichten teilweise oder ganz auf Forderungen. Zudem seien in der Zwischenzeit neue Sponsoren gewonnen worden. Der Insolvenzplan sieht vor, dass der Klub als Türkiyemspor bestehen bleibt und sich nicht neu gründen muss. Das Verfahren kann der Klub auch dank der Spendengelder – seit 2011 hat der Klub so knapp 31.000 Euro bekommen – tragen.

Mete Sener sagt, er würde den Weg für einen neuen Vorstand nicht blockieren. Und blickt optimistisch in die Zukunft: „Wenn der Finanzkram erst mal weg ist, können wir die Kräfte bündeln und neu starten.“

Kein Vorreiter mehr

Es werde ein Neuanfang „bei null“, meint hingegen das anonyme Vereinsmitglied. Was das Sozialpolitische angeht, auch was die Arbeit mit Flüchtlingen betrifft, seien andere Klubs wie Hansa 07 und der FC Internationale in Berlin längst einen Schritt weiter. „Wir hätten Vorreiter sein können“, sagt er, „sind es aber leider nicht.“