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Halt auf freier Strecke Deutschland 2011, R: Andreas Dresen, D: Steffi Kühnert, Milan Peschel

Darum wird, wie schon Kurt Tucholsky wusste, „beim Happyend schnell abgeblendet“: Weil alle Geschichten, wenn man sie nur konsequent weiter erzählt, nicht „glücklich“, sondern mit dem Tod enden. Aber das wollen wir nicht hören oder sehen, und so sind Filme über das Sterben kommerzielles Harakiri. Andreas Dresen sieht solche Tabus offensichtlich als Herausforderungen an. In seinem letzten Film „Wolke 9“ erzählte er von der Liebe und Sexualität älterer Menschen – auch dies kein Thema, das einen Kassenrekord verspricht. Aber der Film lief dann doch überraschend gut und wurde in Cannes mit dem „Coup de Coeur“ oder „Herzschlagpreis“ ausgezeichnet. Auch „Halt auf freier Strecke“ gewann auf dem diesjährigen Filmfestival eine Auszeichnung. Der Film lief zwar nicht im Wettbewerb, wurde aber als der beste Film in der Nebenreihe „Un Certain Regard“ ausgewählt. Dresen macht gleich mit der Anfangssequenz deutlich, wie konzentriert er hier von dem Sterben eines Menschen erzählen wird: Gezeigt werden die Gesichter von Frank und Simone, einem Ehepaar um die 40, denen gerade von einem Arzt die Diagnose gestellt wird, dass Frank einen Gehirntumor hat, der nicht mehr operabel ist. Die Kamera aber zeigt nicht, wie üblich, in einem so genannten Gegenschuss den ihnen an seinem Schreibtisch gegenüber sitzenden Arzt. Selbst wenn dessen Telefon klingelt und er sich von den beiden abwendet, um ein kurzes Dienstgespräch zu führen, konzentriert Dresen den Blick nur die Gesichter der beiden und darauf, was die vernichtende Nachricht in ihnen anrichtet. So nah bleibt der Film immer bei den Protagonisten. Die sonst im Kino gängigen Nebengeschichten und dramaturgischen Verzierungen werden weggelassen, denn neben dem Sterben wirkt alles andere banal. Frank (Milan Peschel) und Simone (Steffi Künnert) sind ein ganz normales deutsches Ehepaar mit zwei Kindern. Beide sind berufstätig und gerade in ihre neues eigenes Haus gezogen. Zuerst ist die Bedrohung durch die Krankheit fast abstrakt. Aber langsam treten Symptome auf und es geht darum, ob man es „den Kindern sagen soll“ und wie die Verwandten, Freunde und Kollegen darauf reagieren. Auf kleine Aussetzer von Frank wird zuerst mit Humor reagiert, und in diesen frühen Szenen gelingt es Dresen, diese Familie so liebevoll und im besten Sinne des Wortes gesund zu zeigen, dass dadurch das spätere Leid zwar um so verheerender, aber auch erträglicher empfunden wird. Um deutlich zu machen, dass der Tumor auch den Bewusstseinszustand von Frank verändert, inszeniert Dresen auch einige surrealen Sequenzen, die auf den ersten Blick wie Stilbrüche wirken. So tritt etwa Franks Tumor, von dem Schauspieler Thorsten Merten verkörpert, in einer Fernsehshow mit Harald Schmidt auf, der darüber zynische Witze („das ist ja aber bösartig von Ihnen“) reißt. Subtiler ist ein anderer Kunstgriff vom Sounddesigner des Films, der in den Szenen, die im Schlafzimmer des Paares spielen, das einen Tick zu laute Ticken eines Weckers einspielt. Dies ist eine unterschwellige Erinnerung daran, dass Franks Lebensuhr abläuft.