„Jede Sekunde koste aus“

Hotels waren einmal eine großbürgerliche Angelegenheit. Draußen brach die Welt zusammen, drinnen wurde Hightea serviert

VON JAN FEDDERSEN

Gestiegene Löhne und eine Fülle von Herbergsketten, die preislich nur knapp oberhalb des Jugendherbergsniveaus eine Übernachtung anbieten, haben aus der Hotellerie eine Branche unter vielen gemacht. Selbst Männer und Frauen, die fremde Städte besuchten und dort bei Freunden zur Nachtruhe fanden, wählen inzwischen ein Hotel. Man sei dort einfach für sich und müsse nicht auch noch ein gründelndes Freundschaftsprogramm abspulen.

Das klingt herzloser, als es gemeint sein wird, da es doch nur um Ehrlichkeit geht: Wenn schon nicht im eigenen Bett, wenn schon in einer anderen Stadt etwas beruflich zu besorgen ist, dann doch bitte mit viel Ruhe am Abend. Wahr ist aber alles in allem: Hotels hatten einmal den Ruf, die große weite Welt zu verkörpern – mit Personal, mit Service, Minibar und Frühstücksbuffet.

Lis Künzli als Herausgeberin hat ein feines Dokument zu diesen alten Zeiten verfasst. Eine wunderbare Werbung für den luxuriösen Ausbruch: „Hotels. Ein literarischer Führer“ (Eichborn, Berlin 2007, 196 Seiten, 24,95 Euro) schildert mit Textbelegen von Vicki Baum, Truman Capote, Thomas und Klaus Mann, Vladimir Nabokov, Mark Twain, Anaïs Nin und vielen anderen der prominentesten der literarischen Szene des vorigen Jahrhunderts, wie klasse, wie absolut bürgerlich, wie wirklich großartig Hotels sein können. Häuser wie das Hotel Riffelalp im schweizerischen Zermatt, das venezianische Hotel Gabrielli Sandwirth oder das Wiener Hotel Imperial – um nur eine magere Auswahl zu nennen – stehen für eine Pracht, für einen gediegenen Luxus, die inzwischen für etwas verstaubt, quasi überkandidelt gehalten werden können. Aber sie wecken Erinnerungen an eine Zeit, als das Reisen als solches noch eine großbürgerliche Angelegenheit war und das Wegfahren eine Chose, die auf einem Campingplatz endete. Diese Reminiszenzen an eine alte Welt kennen noch nichts von Jack Kerouacs hippiesken Lüsten vom Dasein „on the road“, aber viel von so opulenter wie akkurat gehaltener Erhabenheit. Hotels als Monumente quasi, die schon in ihren mächtigen Architekturen über Burgen fantasieren, und der Umstand, dass außerhalb dieser Hotels die Welt erschüttert war, aber man davon in den Salons, den Bädern, inmitten der Pagen und Dienstmädchen nichts merkte.

Auffallen könnte der Unterschied zwischen der fraglos bürgerlichen Welt der großen Hotels und den Pseudoprächtigkeiten heutiger Übernachtungshäuser nur alten Menschen: die das Berliner Hotel Adlon beispielsweise noch kennen aus der Zeit, als der feine deutsche Kulturbürger noch glaubte, der braune Pöbel würde niemals ihren deutschen Geist zerstören. Heute hat das Haus am Pariser Platz mit Fensterblick zum Brandenburger Tor das Flair eines Hotels, das, allen Adligen und Prominenten, die dort Quartier finden, zum Trotz, unentwegt die Qualität des Service betonen muss, weil es sich offenbar nicht mehr wie früher in den bürgerlichen Kreisen von selbst versteht, dass Geld bei manchen nur eine dienende Rolle spielt.

Es sind großartige Schnipsel, die Lis Künzli ausgegraben hat. Joseph Roths Bekenntnis über das Hotel Savoy im polnischen Lodz ist vielleicht das kostbarste. Nachdem er sein Zimmer gesehen hat, schreibt er: „Ich wasche mich und schlüpfe langsam ins Bett, jede Sekunde koste ich aus. Ich öffne das Fenster, die Hühner schwatzen laut und lustig, es ist wie süße Schlafmusik. Ich schlafe ohne Traum den ganzen Tag.“ Feiner, lebensseliger ist die Lust am Ausstieg aus dem Alltag der eigenen Wohnung nicht zu skizzieren. Und von Klaus Mann lernen wir, dass er, nach der Machteroberung der Nazis, nirgendwo anders mehr zuhause sich fühlen mochte als im Hotel – weil ein Leben dort die eigene Entwurzelung im erzwungenen Exil weniger weh tun lässt.

Offen muss nur die Frage bleiben, ob nicht auch in den billigen Herbergen der Jetztzeit solche gründlichen Gefühle empfunden werden können. Vielleicht ist der Unterschied zwischen großen Hotels und schlichten Herbergen kein echter – sondern, ganz im Sinne der Welt früherer Paläste, allenfalls ein dünkelhafter.

JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, nächtigt gern in Hotels – einerlei, ob sie mit drei oder sieben Sternen gepriesen werden. Das Bett soll nur keine weiche Matratze haben