LESERINNENBRIEFE
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Impfpflicht schützt Kinderrechte

■ betr.: „Masern. Grandiose Fahrlässigkeit“ u. a., taz vom 24. 2. 15 f.

Bei der Diskussion um eine Impfpflicht wundert mich, dass nie von den Rechten der Kinder die Rede ist, aber durchaus von den Elternrechten. Ich habe in meinem Berufsleben als Psychiater einige Menschen gesehen, die auf Grund einer Masern-Gehirnentzündung schwerst körperlich und geistig behindert waren. Haben Kinder nicht das Recht, vor solchen Erkrankungen geschützt zu werden? Wenn die Eltern – aus welchen gut gemeinten Gründen auch immer – diese Rechte nicht garantieren können, muss dann nicht die Gesellschaft diese Garantie übernehmen, gegebenenfalls durch eine Impfpflicht. Und wenn wir dafür Gesetzes- und Verfassungsänderungen brauchen, in denen die Rechte der Kinder auf eine bestmögliche gesundheitliche Versorgung festgeschrieben werden, ist das nicht einfach das, was wir als Gesellschaft den Kindern schuldig sind? MICHAEL HUPPERTZ, Alsbach-Hähnlein

Konsumwahn unterstützt

■ betr.: „Palmer will sonntags einkaufen“, taz vom 26. 2. 15

Als Grüner erschüttert es mich besonders, dass ausgerechnet ein einflussreicher Parteifreund von mir den Konsumwahn und die weitere Einengung von Arbeitnehmer_innenrechten unterstützt. 30 verkaufsoffene Sonntage hätte nicht einmal die FDP zu fordern gewagt! HEINZ PETER LEMM, Hamburg

Die Bilanzen sind peinlich

■ betr.: „Kirchenasyl. Bloß nicht nachgeben“, taz vom 26. 2. 15

Ende des 17. Jahrhunderts ließ Ludwig XIV. die Hugenotten derart verdreschen, dass sie unter anderem in Deutschland Asyl suchten. Ein Nachfahre dieser französischen Protestanten ist unser Innenminister de Maizière. Nun fragt sich, ob er sich dieser Vergangenheit erinnert, wenn Flüchtende bei uns, auch in Kirchen, Schutz begehren. Es ist bekannt, dass de Maizière sich als Christ begreift. Es wäre wahrlich besser, er gäbe seinen verantwortungsvollen Job auf und wanderte auf den Spuren Theodor Fontanes durch die Mark Brandenburg. Wie sich jetzt herausstellt, hat ihn und seinen Vorgänger Jung auch das Amt als Verteidigungsminister überfordert. Die Bilanzen sind peinlich, jetzt auch für die Flüchtlinge. Innenminister müssen nicht grundsätzlich männlich sein!PETER FINCKH, Ulm

Kein Linksextremist, nirgends

■ betr.: „Forscher sehen überall Linksextreme“, taz vom 24. 2. 15

Ich wohne in einem Ort mit ca. 35.000 Einwohnern. 14 Prozent von 35.000 sind 4.900. Also leben, einer Studie des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin zufolge, in meinem Wohnort 4.900 Linksradikale/Linksextreme. Bisher dachte ich immer, ich sei von wohlgesetzten Bürgern umgeben. Wo sind die Linksradikalen/Linksextremisten? Ich mache mich auf die Suche.

Vor der Eisdiele werde ich fündig. Da versucht doch tatsächlich so ein Knirps, sein Dreirad vor das Schaufenster zu stellen, ob wohl doch dort ein Schild zu sehen ist, Fahrräder anstellen verboten. Darauf angesprochen, sagt er eigentlich gar nichts. Er deutet nur nach links, zum Eisschalter hin und in Erwartung des Genusses verzieht er sein Gesicht radikalstmöglich. Man sieht, auf links folgt radikal.

Dann begegne ich A., Kirchenkritiker/Religionskritiker vor Ort. Worum geht es im Gespräch? Natürlich um die Kirche. Das Finanzamt – das ist der Staat beziehungsweise das sind wir alle – zieht für die christlichen Kirchen die Kirchensteuer ein. Diese Dienstleitung finanzieren alle, aber nur die christlichen Kirchen kommen in den Genuss dieser Leistung. Das sei eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums für private Zwecke. Das sei Erschleichung von Gemeinschaftsleistungen! Aha, die linksradikale/linksextreme Position. Nein, beruhigt mich A.: „Nur mein Hemd ist mir näher als der Rock.“ Der bürgerliche Gleichheitsgrundsatz sei hier empfindlich gestört.

Mit B. treffe ich mich manchmal auf ein Glas Wein. Wir reden über TTIP und über das Problem, dass Unternehmen einen Staat wegen dessen Entscheidungen vor einem Geheimtribunal auf Schadenersatz verklagen können. Welche Gemeinde wird dann zum Beispiel die kostengünstige und zuverlässige Wasserversorgung weiterbetreiben können, wenn ein Konzern seine Krallen ausstreckt, um das Wasser zu privatisieren? „Entgangener Profit!“, schreit das Unternehmen. Selbst die faustische Verbindung von Wirtschaft und Politik sei damit aufgehoben! Ich schaue B. skeptisch an. In welchem Land war das noch mal mit der staatlich garantierten Grundversorgung? Dennoch habe ich nicht den Verdacht, in B. einen Linksradikalen/Linksextremisten zu sehen.

Auf dem Nachhauseweg sehe ich C. C. ist die mir bekannte konsequenteste Fluglärmgegnerin. Kein Montag ohne Flughafendemo! Es geht um meine Gesundheit, sagt sie. Wir müssen uns nicht alles alternativlos gefallen lassen. Es gibt Alternativen. Wenn man alle Kurzstreckenflüge streichen würde, dann gäbe es genug Lärmpausen. Radikal klingt das nicht gerade. Das verbuche ich eher unter der Rubrik Reformstau. Kein Linksradikaler/Linksextremist, nirgends.

Ich recherchiere im Internet und stoße auf Wladimir Iljitsch Lenin: Der „‚Linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ (1920). „Hoppla“, denke ich. Neben Linksradikalen/Linksextremisten gibt es also noch die Personen, die der KPD, der DKP, der SED nahestehen. Ich nenne sie mal Linksbürokraten. Wenn es 4.900 Linksradikale/Linksextremisten an meinem Wohnort gibt, wie viele Linksbürokraten mögen dann noch hinzukommen? Ob wenigstens die ihre wissenschaftliche Zuordnung, wie sie der SED-Forschungsverbund ermittelt hat, kennen? ULLRICH KAMUF, Mühlheim am Main