Verwirrung um „Zwangsrente“

Union und SPD noch uneins über frühere Verrentung von Hartz-IV-Empfängern

BERLIN taz ■ Union und SPD streiten noch darüber, ob es für ältere Langzeitarbeitslose einen Schutz vor „Zwangsverrentung“ geben soll. „Bisher liegt uns kein Vorschlag vor, der uns überzeugt, etwas an der bestehenden Rechtslage zu ändern“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der Union, Ralf Brauksiepe im Gespräch mit der taz. Wie berichtet, warnen Gewerkschaften, Grüne und Linke vor der „zwangsweisen“ Verrentung mit Abschlägen. Doch die Lage ist weniger dramatisch, als vielfach behauptet.

Betroffen von einer früheren Verrentung wären nur Langzeitarbeitslose, die im nächsten Jahr 58 Jahre oder jünger sind, erklärte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit im Gespräch mit der taz. Für die Älteren gelte noch eine Art Vertrauensschutz. Denn sie gehörten zur Altersgruppe derjenigen, die noch die sogenannte 58-Regelung hätten in Anspruch nehmen können. Diese Regelung erlaubt keine zwangsweise vorzeitige Verrentung. Die Älteren können also Hartz IV erhalten bis zum Rentenalter von 65 Jahren.

Für die jüngeren Arbeitslosengeld-II-Empfänger sieht die Sache anders aus: Bei ihnen greift die Vorgabe, dass Leistungen nach Hartz IV nur dann gewährt werden, wenn keine Verrentung möglich ist. Männer, die im kommenden Jahr 58 Jahre alt werden und Hartz IV beziehen, würden also im Alter von 63 Jahren in Rente geschickt, Frauen dieses Jahrgangs im Alter von 60 Jahren. Dies bedeutet aber hohe Rentenabschläge: Männer müssten einen Abzug von 7,2 Prozent, Frauen einen Abzug von 18 Prozent hinnehmen. Den unfreiwilligen Gang in den Ruhestand müssten die Betroffenen dann aber nicht im nächsten Jahr antreten, sondern die Frauen erst zwei Jahre, die Männer fünf Jahre später. „Eine Bugwelle von ‚Zwangsverrentungen‘ mit 300.000 oder mehr Betroffenen ist unmittelbar ab 2008 nicht zu erwarten“, erklärt auch der Sozialwissenschaftler Johannes Steffen von der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Obwohl die Folgen also erst in einigen Jahren für die Betroffenen spürbar werden, drängen die Grünen und die Linke schon jetzt auf eine gesetzliche Lösung des Problems. Es könne nicht sein, dass „Menschen, die arbeiten wollen, zwangsweise in eine lebenslang gekürzte Rente geschickt werden“, sagte die rentenpolitische Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk der taz.

Am kommenden Montag soll das Thema im Koalitionsausschuss aus Union und SPD beraten werden. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, hatte im Vorfeld bereits erklärt: „Wer arbeiten kann und will, darf nicht in Rente geschickt werden.“ Da dürfe es keinen „Automatismus“ geben.

Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, bezweifelte sogar die Verfassungsmäßigkeit der unfreiwilligen Verrentung älterer Erwerbsloser mit Abschlägen auf Lebenszeit. Brauksiepe sieht das anders: Die „Nachrangigkeit“ des Bezugs von Arbeitslosengelds II vor anderen möglichen Sozialleistungen dürfe nicht in Frage gestellt werden. BARBARA DRIBBUSCH