Viel Raum für Anzüglichkeiten

PREMIERE Sebastian Kreyer inszeniert „Im weißen Rössl“ am Theater Bremen als schwules Happening

Halb Bremen redete über die gebrochene Hand von Desiree Nick. Und darüber, ob das, also: nicht die Hand, aber ihre Besetzung in der Hauptrolle des „Weißen Rössls“ nicht doch nur ein kluger Marketing-Coup des Bremer Theaters ist. Was einem aber auch egal sein kann, wenn es künstlerisch funktioniert – was es durchaus tut.

Bemerkenswerter an diesem Abend ist aber etwas ganz anderes. Klar, Frau Nick ist schon eine Schau für sich, wie sie da mit ihren immerhin bald 60 Jahren mehr als drei Stunden auf der Bühne steht, tanzt, singt, kalauert, schnoddert, greint, zetert und einen Spagat macht (doch, wirklich!). Und natürlich, Stichwort: Schwulen-Ikone, passt sie in Sebastian Kreyers Inszenierung des Operettenklassikers wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer.

Womit wir dann schon deutlich näher an dem sind, was hier Sache ist. Kreyer will der Operette ihre Anzüglichkeit wiedergeben, die schließlich, wie die Süddeutsche Theaterzeitung schon 1885 notierte, „nicht für Betschwestern, spröde alte Jungfern und Hypermoralisten“ gemacht ist. Die hätten in der Tat wenig Spaß an Kreyers Arbeit. Die Ouvertüre, die von „Somewhere Over The Rainbow“ über Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“ bis „I Will Survive“ ein Potpourri der größten queeren Hymnen ist, stimmt ein in ein munteres Geschlechtlein-wechsel-dich – vulgo: Cross-Dressing –, was dazu führt, dass hier am Ende vor allem von Mann zu Mann geliebt wird. Und statt Kaiser Franz Joseph beehrt Sisi (gespielt von einem Mann: Mathieu Svetchine) das Feriendorf am Wolfgangsee –Sisi klingt schließlich wie Sissy, was im Umgangsenglisch so viel bedeutet wie Weichei oder – Obacht! – Schwuchtel.

Der laut Kreyer im Stoff angelegte schwule Subtext nun: er ist keiner mehr. Die Story ist im Großen und Ganzen die gleiche geblieben, kreist um einen Patentstreit für eine Hemdhose, die beim einen Fabrikanten vorn, beim andern hinten geknöpft wird. Aber Subtext gibt’s hier beinah keinen. Deutlicher geht’s nicht. Im Postkartenidyll, schablonenhaft vervielfältigt, mit Pappmaché-Bus und lederbehosten Touristen stolpern und fallen die Kellner kreuz und quer, Wortspiele der Sorte „konhand, ach nein, konfus“ und derbes wie die Vorliebe von Rechtsanwalt Otto Siedler für seinen Vornamen, der nämlich zwei Löcher hat, eins vorn, eins hinten, lassen ausgesprochen wenig Raum für Subtilitäten. Und alle, alle, alle, von den Philharmonikern über den Chor bis zu den SchauspielerInnen machen sie ihre Sache überwiegend ganz wunderbar.

Ein kleines bisschen Enttäuschung gibt es am Ende aber doch: Was sich zwischendurch durchaus anzudeuten scheint – nämlich eine Kritik der bürgerlichen Moral wie auch der eher vorbürgerlichen strategischen Ehe, endet dann genau dort: in der Ehe, zweimal homo und einmal heterosexuell. Ob es deswegen die Buh-Rufe gab, die sich in den überwiegend begeisterten Applaus mischten? Wohl kaum. Leider.  ANDREAS SCHNELL

Wieder am: 5 und 7. März, jeweils 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz