„Wenn man sich nicht einigt, kämpft halt jeder für sich“

STREITGESPRÄCH Drei linke Parteien in der Opposition – davor müsste doch eigentlich jede Regierung zittern. Aber werden sich Grüne, Linke und Piraten auf eine gemeinsame Strategie einigen können?

Udo Wolf, 49, ist seit 2009 Vorsitzender der Linksfraktion, der er seit 2001 angehört. Zuvor saß er unter anderem im Landesvorstand der PDS.

MODERATION GEREON ASMUTH
UND SVENJA BERGT

taz: Frau Pop, Herr Wolf, Herr Baum, saßen Sie schon mal in dieser Konstellation zusammen?

Ramona Pop: Nein.

Udo Wolf: Das hat sich einfach noch nicht ergeben. Die Fraktionen haben ja derzeit noch verschiedene Probleme zu lösen.

Andreas Baum: Ich sehe das ähnlich. Es gab noch nicht wirklich einen Anlass. Wir haben ja auch keine Eile, schließlich haben wir noch fünf gemeinsame Jahre in der Opposition.

Pop: Es wird sicher die eine oder andere gemeinsame Initiative geben.

Frau Pop, Sie sind die einzige mit Oppositionserfahrung von Ihnen dreien. Haben Sie praktische Tipps für die anderen?

Pop: Ich glaube, da muss jeder seinen eigenen Weg finden.

Ihr Fraktionskollege Volker Ratzmann hat den Anspruch auf die Koalitionsführerschaft für die Grünen erhoben.

Pop: So ist das nicht. Wir sind die größte Oppositionsfraktion und streben natürlich die Oppositionsführerschaft an, aber die muss man sich auch erarbeiten.

Baum: Man muss bei der Zusammenarbeit schon unterscheiden, ob man in der Opposition oder in der Regierung sitzt. In der Opposition ist die Zusammenarbeit nicht so eng. Ich denke aber, es wird sich einiges ergeben, schließlich haben wir Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel wollen wir alle das Wahlalter ab 16.

Herr Wolf, sind Sie sauer auf die Grünen, dass die das mit der Regierung nicht hingekriegt haben? Dann hätten Sie sich viel einfacher als linke Opposition profilieren können.

Wolf: Es wäre einiges einfacher für uns, klar. So wird es einen ziemlich interessanten Konkurrenzkampf darum geben, wer sich am besten die Oppositionsführerschaft erarbeiten kann.

Womit stechen Sie denn die Grünen aus?

Wolf: Das wird sich insbesondere im sozialen Bereich entscheiden. Bei der ersten Sitzung im Abgeordnetenhaus hatten wir schon zwei Punkte, bei denen es in der Opposition relativ große Übereinstimmungen gab: der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor und die Schwarzgeldkonten. Dabei haben alle drei Oppositionsfraktionen geschlossen gegen die neue Koalition gestimmt. Es wird aber natürlich auch Punkte geben, wo wir uns eigenständig profilieren.

Pop: Größe macht einen nicht automatisch zum Oppositionsführer. Das entscheidet sich auch daran, dass man der Regierung nicht nur in einem Punkt etwas entgegenzusetzen hat, sondern in der Breite der Themen.

Herr Baum, spielen die Piraten bei diesem Wettkampf mit?

Baum: Das wird sich zeigen. Bisher haben wir nirgends kampflos aufgegeben, wo sich Türen für uns geöffnet haben. Ich denke auch, dass die Oppositionsführerschaft wechseln kann – je nach Schwerpunkt der Partei. Ich kann nicht erkennen, dass man jetzt schon sieht, wer die führende Oppositionspartei wird. Dem würden wir sonst natürlich etwas entgegensetzen.

Herr Wolf, welche Erwartungen haben Sie an die Piraten?

Wolf: Ich erwarte gar nicht so viel. Als ich vor zehn Jahren neu ins Parlament kam, musste ich mich auch erst an die Abläufe gewöhnen. Ein paar Sachen fand ich etwas verstaubt, die sind auch immer noch verstaubt. Aber die wird man nicht von einem Tag auf den anderen geregelt kriegen, indem man einen Computer anschaltet. Ich fand es zum Beispiel schön, dass die Piraten unserem Antrag zu den Schwarzgeldkonten zugestimmt haben. Aber die Begründung, dass man zugestimmt hat, weil sich bei einer Abstimmung im Netz mit 400 Teilnehmern 391 Menschen aus der Partei dafür ausgesprochen haben, finde ich merkwürdig.

So etwas nennt man Basisdemokratie.

Wolf: Es sagt aber etwas aus über die Breite der Basis. Ob das dann ein demokratischer Vorgang ist, würde ich schon bezweifeln.

Baum: Ich finde, dass das eine ziemlich gute Beteiligung ist, wenn man sich überlegt, dass wir derzeit ungefähr 2.000 Mitglieder im Landesverband haben. Wenn sich davon 400 innerhalb einer Woche mit so einem Thema beschäftigen und Stellung nehmen, dann finde ich das viel.

Die Piraten machen schon einiges anders – öffentliche Sitzungen von Fraktion und Fraktionsvorstand zum Beispiel.

Pop: Die Sitzungen der Grünen-Fraktion sind öffentlich. Da kommt nur keiner.

Wenn es spannend wird, sind die Türen ja auch zu.

Pop: Natürlich gibt es auch mal den Bedarf, intern zu reden. Aber grundsätzlich sind die öffentlich. Es hat sich nur schon lange niemand mehr zu uns verlaufen.

Baum: Da komme ich gerne mal vorbei.

Wolf: Fraktionssitzungen sind bei uns auch öffentlich. Aber ehrlich gesagt, wird das Interesse der Öffentlichkeit am Alltagsbetrieb überschätzt. Das ist bedauerlich. Aber es zeigt, dass man auch Möglichkeiten für die Leute braucht, die nicht das Privileg haben, ans Internet angeschlossen zu sein. Ältere Menschen beispielsweise, aber auch Bezieher von Transferleistungen.

Ramona Pop, 34, ist seit 1997 bei den Grünen, seit zehn Jahren sitzt sie für die Partei im Abgeordnetenhaus. Im Jahr 2009 wurde sie zur Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Baum: Da muss man dafür sorgen, dass sie die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen, und ihnen diese auch zeigen. Zum Beispiel Bibliotheken. Da kann jeder kostenfrei das Internet nutzen.

Wolf: Man sollte sich aber nicht vorstellen, dass alles so schnell geht. Dass man mit so einem Anspruch ins Parlament kommt, und am nächsten Tag ist die Kampagne schon gestartet. Das ist richtig mühsame und harte Arbeit, das ganz ausgiebige Bohren von ganz dicken Brettern.

Pop: Ich glaube, dass es richtig ist, den Zugang für alle zu ermöglichen, und dafür muss man Bibliotheken retten, die nämlich gerade massenweise geschlossen werden. Man darf aber nicht vergessen, dass wir Politiker eine Bringschuld haben. Wir können nicht einfach sagen, jetzt setzt euch mal hin und schaut euch den Livestream an. Wir müssen auch auf die Straße und mit den Leuten reden. Und ich finde es legitim, dass Leute sagen: Kommt bitte mal vorbei und schaut euch an, was in der Kita los ist.

Haben die Piraten da Defizite?

Pop: Ich glaube, sie sind noch zu neu. Wie sollen die Piraten jetzt schon jede Schule und jede Kita und ihre spezifischen Probleme genauso gut kennen wie wir nach Jahren im Parlament? Ich glaube, das ist zu viel verlangt.

Baum: Es ist nicht so, dass es bei uns keine Treffen geben würde. Auch bei uns setzen sich die Leute zusammen. Nur geht die Debatte dann hinterher im Netz weiter. Oft hat man ja den Eindruck nach einem persönlichen Austausch, dass es noch offene Fragen gibt. Und die Möglichkeiten bieten sich bei uns.

Pop: Ich würde gerne mal wissen: Was ist denn die erste politische Initiative der Piraten?

Baum: Wahlalter ab 16 ist schon eine Sache, um die man sich mal kümmern könnte. Die S-Bahn steht auch an. Da bietet unsere neue Position die Möglichkeit, direkt mit den Verkehrsbetrieben zu sprechen. Konkrete Initiativen, die nächste Woche kommen, kann ich Ihnen aber nicht nennen.

Herr Wolf, Sie sagten, im politischen Betrieb geht alles nicht so schnell. Was lässt sich umsetzen in fünf Jahren Opposition?

Wolf: Das S-Bahn-Thema ist ein wichtiges und drängendes. Je schneller wir uns da einigen können, umso mehr Druck können wir gegen die Koalition ausüben.

SPD und CDU haben sich in Sachen S-Bahn gerade geeinigt. Gibt es in der Opposition auch eine gemeinsame Strategie?

Wolf: Nein.

Pop: In dieser Frage gibt es keine gemeinsame Strategie.

Wolf: Und ich glaube, dass es zwischen den Grünen und der Linken da schwierig wird. Denn wir sind dafür, dass die S-Bahn direkt an ein landeseigenes Unternehmen gegeben wird.

Pop: Das geht rechtlich nicht.

Wolf: Doch, das geht. Das ist geprüft. Nur die Direktvergabe an Dritte ist nicht möglich, das haben die Grünen nie verstanden. Deshalb haben sie die gleiche Position wie Rot-Schwarz.

Pop: Nein, Direktvergabe geht gar nicht. Und Rot-Schwarz hat ja nun alle Positionen: Sie wollen die S-Bahn kaufen, selber machen und ausschreiben. Es gilt aber, schnell ein tragfähiges Konzept zu finden.

Wolf: Auf alle Fälle wäre es da spannend, wie man mit dem Volksbegehren zur S-Bahn und den Piraten in eine Diskussion kommt, damit es öffentlichen Druck gibt.

Es gibt jetzt drei Fraktionen links der Koalition. Ist das eine Chance, öffentlichen Druck aufzubauen, oder stehen Sie sich eher gegenseitig im Weg?

Wolf: Wir sind natürlich konkurrierende Parteien und müssen gucken, wie wir uns profilieren.

Pop: Ja, ich sehe das als Chance.

Wolf: Aber ich glaube, in den wesentlichen Entscheidungsfragen kommt es darauf an, dass wir in der Opposition gemeinsame Positionen finden.

Welche Fragen sind denn das?

Andreas Baum, 33, ist seit September Fraktionsvorsitzender der Piraten. Zuvor war er drei Jahre lang Vorsitzender des Landesverbands.

Wolf: Kosten der Unterkunft sind ein ganz wichtiger Punkt.

Pop: Ich finde nicht, dass die Linkspartei hier die wesentlichen Punkte aufzählen sollte. Ich glaube, dass es in einer Opposition unterschiedliche Strategien gibt. Man ist gemeinsam schlagkräftig. Aber man ist auch nicht zu unterschätzen, wenn man von unterschiedlichen Seiten her auf eine Regierung zukommt.

Wolf: Es gibt Themen, über die wir diskutieren müssen. Möglicherweise einigt man sich, das wäre dann gut. Oder man einigt sich nicht, dann kämpft halt jeder für sich mit seinen außerparlamentarischen Partnern.

Baum: So sehe ich das auch. Es wird Themen geben, bei denen man zusammenarbeitet, und andere, wo wir unterschiedliche Positionen haben. Das finde ich aber auch nicht weiter schlimm.

Gibt es einen Punkt, bei dem Sie alle einer Meinung sind?

Pop: Vermutlich bei der dramatischen Mietentwicklung. Da ist die Frage, wie Berlin gegensteuern kann, zum Beispiel mit einem Zweckentfremdungsverbot, was Rot-Schwarz nicht tut.

Baum: Ich denke auch, dass es im Bereich der Stadtentwicklung die eine oder andere Gemeinsamkeit gibt. Zum Beispiel bei Mediaspree, wenn es um die Zugänglichkeit des Spreeufers geht.

Gibt es also demnächst die große Mieterdemo und an der Spitze Pop, Wolf und Baum?

Wolf: Dagegen spricht gar nichts. An einigen Stellen sind wir übrigens zu Regierungszeiten explizit ausgeladen worden. Ich halte das nicht für klug. Ich würde mich freuen, auf so einer Demo auch viele Sozialdemokraten zu sehen. Denn das würde die Auseinandersetzung in diese neue Regierung hineintreiben.

In der vergangenen Legislaturperiode gab es auch eine Dreieropposition – Grüne, CDU und FDP. Da gab es sogar gemeinsame Presseerklärungen. Wenn Sie sich daran erinnern, Herr Wolf: Wie nimmt man das wahr als Regierungspartei?

Wolf: Ich glaube, die schärfste Waffe des Parlamentariers, die Presserklärung, hat weniger Auswirkungen auf die Regierung als das, was sich in der wirklichen Welt abspielt, bei den Interessengruppen und den Menschen auf der Straße, die Widerstand organisieren. Am meisten beeindruckt hat uns eine Aktion direkt zum Regierungsantritt. Bei unserem Landesparteitag haben damals verschiedene Initiativen und Gewerkschaften demonstriert. Ich hoffe übrigens, dass die imstande sind, Ähnliches bei den bevorstehenden Parteitagen von SPD und CDU zu organisieren.

Herr Baum, die Piraten sagen gerne, dass andere Parteien ihre Inhalte übernehmen. Sehen Sie das in Berlin auch?

Baum: In Berlin kann ich das bislang nicht feststellen.

Pop: Dass grüne Positionen übernommen werden, erleben wir auch seit Jahrzehnten. Öko wollen alle sein.

Was übernehmen Sie denn, Frau Pop?

Pop: Ich glaube, die Transparenz haben wir auch auf der Agenda gehabt. Offensichtlich haben wir das im Wahlkampf nicht so nach vorne gestellt, dass man den Piraten hätte das Wasser abgraben können. Aber ich finde es spannend, über neue Beteiligungsmöglichkeiten nachzudenken. Da können wir als Grüne kräftig mitspielen, denke ich.

Trotzdem haben die Piraten genau da gepunktet. Wieso nicht Grüne und Linke?

■ Die in dieser Woche besiegelte „große Koalition“ aus SPD und CDU bekommt es mit einer machtvollen Opposition zu tun. Gleich drei Parteien wollen es mit Rot-Schwarz aufnehmen.

■ Die Grünen bekamen bei der Wahl Mitte September 17,6 Prozent der Stimmen, sie stellen 29 Abgeordnete. Die Linkspartei landete bei 11,7 Prozent, sie stellt 19 Parlamentarier. Die Piraten zogen mit 8,9 Prozent erstmals in ein deutsches Landesparlament ein, sie sind mit 15 Abgeordneten vertreten.

■ Rot-Schwarz hat 86 Abgeordnete und damit eine Mehrheit von 12 Stimmen. (taz)

Wolf: Ich glaube, wir haben es nicht geschafft, die junge männliche Wählerschaft so zu begeistern, dass sie zu uns kommt. Auf jeden Fall müssen wir über das Thema Netzpolitik intensiver nachdenken. Ich glaube aber, ein Teil der Stimmen ist eher einem Lebensgefühl geschuldet als konkreten politischen Aussagen.

Herr Baum, wurden die Piraten aufgrund eines Lebensgefühls gewählt?

Baum: Es hängt sicher nicht nur an einem Lebensgefühl – aber gerade was die jungen Wähler angeht, sicher auch.

Warum schaffen Grüne und Linke es nicht mehr, die anzusprechen?

Baum: Offensichtlich fehlt der Austausch mit den Leuten, die uns gewählt haben.

Bei der Jamaika-Opposition war fast vorstellbar, dass sie mal die Regierung ablöst.

Pop: Das war nie eine ernstzunehmende Option. Dass sich im Parlament eine Zusammenarbeit entwickelt, ist völlig normal.

Hätte denn die jetzige Opposition das Potenzial dazu?

Wolf: Potenzial schon. Aber wenn wir uns in der Opposition nicht mal zu Schwerpunktthemen einigen können, ist es schwierig, darüber zu sprechen, ob es da eine Regierungskonstellation geben könnte. Spannend fände ich es auf jeden Fall.

Baum: Ich bin da skeptisch. Aber im Moment passiert so viel, und wenn man sieht, was innerhalb von fünf Jahren passieren kann, lässt einen das wirklich staunen. Ich meine, die Piraten gibt es erst seit fünf Jahren.

Pop: Ob Rot-Schwarz über die Bundestagswahl hinaus trägt, wird man sehen. Jetzt gilt es für uns, die Oppositionsführerschaft zu erobern.