Pastor macht Streikenden Mut

Im Tarifkampf des Hamburger Einzelhandels hält die Gewerkschaft Ver.di erstmals eine Kundgebung aller Streikenden ab – und ruft die Petri-Kirche zur Hilfe. Auch das nahende Weihnachtsgeschäft hilft

VON KAI VON APPEN

Dass die Gewerkschaft Ver.di nach zwei ergebnislosen Streikphasen im Einzelhandel irgendwann zum Paukenschlag ausholt, ist nicht überraschend. Doch dass sie sich dafür den himmlischen Segen holt, ist einzigartig. 1.500 Beschäftigte in fast allen Kaufhäusern sowie Kauf- und Supermärkten traten gestern erstmals in diesem Tarifkonflikt gemeinsam in den Streik und trafen sich zu einer Streik-Andacht in der Petri-Kirche an der Mönckebergstraße.

„Bitte die Fahnen vor der Tür abstellen und die Pfeifen nicht benutzen“, lautet die Anweisung der Streikleitung vor dem Betreten des Gotteshauses. Pastor Christoph Störmer hat für seine ungewöhnliche Predigt zur ungewöhnlichen Zeit improvisiert. Neben den hölzernen Bänken sind zusätzliche Stühle aufgestellt, im Seitenschiff der Kirche sind zum Verzehr heißer Getränke Partytische aufgebaut. Denn einige Streikende sind bereits seit Stunden in der Kälte unterwegs. „Sie können auch auf den oberen Emporen Platz nehmen“, sagt Störmer, noch in ziviler Kleidung, „hier muss keiner stehen.“ Wenig später erscheint er im Talar mit Halskrause vor dem Altar. Die Glocken der Petri-Kirche läuten, die Orgel erklingt, die VerkäuferInnen in ihren Streiktüten harren der Dinge. Störmer spricht ihnen Mut zu, um nach dem „Leib die Seele zu stärken“. Es sei gut, „dass Reichtum in die Pflicht genommen“ werde. „Solidarität, Engagement und Kampfeslust“ sei der richtige Weg, den „Hunger nach Gerechtigkeit“ zu stillen, predigt Störmer: „Recht muss man einfordern und nicht die Hände in den Schoß legen.“ Der Pastor stimmt die „Kirchliche Internationale“ an – das Kirchenlied Lied „Sonne der Gerechtigkeit“, anschließend treten BetriebsrätInnen vor den Altar und berichten von ihren Befürchtungen.

Nach der Kirche ziehen die Streikenden vor das Karstadt-Gebäude in der Mönckebergstraße und das Haus des Einzelhandelsverbandes, Betriebsvertreter fordern mehr Gehalt und den Erhalt der Spätzuschläge. „Eine Welt, in der am Abend, nachts, an Samstagen und möglicherweise auch an Sonntagen als selbstverständlich gearbeitet wird, ist nicht normal – so eine Welt wollen wir nicht“, sagt die Vize-Bundeschefin von Ver.di, Margret Möning-Raane.

Einzelhandelsverband-Verhandlungsführer Heinrich Grüter stellt sich den Streikenden, macht ihnen jedoch keine Zugeständnisse. „Wir wollen über die Zuschläge sprechen, wie das Ergebnis aussieht, müssen wir sehen.“ Hamburgs Ver.di-Verhandlungsführer Ulrich Meinecke fordert dagegen einen klaren Verzicht auf Kürzungen bei den Zuschlägen. Er verweist auf das Weihnachtsgeschäft. Von vielen Transparenten prangt es bereits: „Weihnachten steht vor der Tür – wir auch!“

Heute wird der Streik fortgesetzt. 20 Busse fahren heute früh nach Berlin, wo ein Einzelhandels-Bundeskongress stattfindet. Die Gewerkschaft der Lokführer hat zugesichert, mit dem S-Bahn-Streik nicht vor sieben Uhr zu beginnen, damit alle pünktlich die Busse erreichen.