heute in bremen
: „Bis hin zur sinnlichen Revolution“

Gert Sautermeister erklärt, was literarische Erotik so alles bewirken kann

taz: Herr Professor Sautermeister, Sie stellen heute die heißesten Sexszenen der Weltliteratur vor?

Gert Sautermeister, Literaturwissenschaftler, Uni Bremen: Nein, das sicher nicht. Es sind keine Sex-, wohl aber erotische Szenen, zum Teil aus der Weltliteratur – etwa aus Giovanni Bocaccios „Decamerone“ und aus „Tristan und Isolde“. Andernfalls würde ich womöglich meine älteren ZuhörerInnen verprellen.

Wieso denn die älteren? Im Vergleich zu den 68ern herrscht doch gerade die neue Prüderie!

Da mögen Sie recht haben. Zum Teil wirkt die jüngere Generation da etwas vorsichtiger, als das vor 30 Jahren der Fall gewesen ist. Vielleicht kann man das als prüde bezeichnen.

Ihr Vortrag heißt: „Das Erotische in Sprache und Literatur“ – ist das nicht ein zu weit gefasster Titel?

Doch, ich kann auch nicht mehr rekonstruieren wie es dazu kam. Er stand dann irgendwann auf der Tagesordnung und ließ sich nicht mehr ändern. Im Vortrag habe ich das allerdings eingeschränkt – sonst geriete das wirklich ins Uferlose.

Wie haben Sie eingeschränkt?

Ich betrachte Eros als eine Kraft, die Veränderungen bewirkt, im Leben der Menschen, natürlich, aber eben auch Veränderungen gesellschaftlicher Art. Das ist meine These, die ich aber nicht verabsolutieren möchte: Literarische Erotik stellt gesellschaftlichen Normen in Frage, bewirkt Reformen – bis hin zu einer Art sinnlichen Revolution.

Ach so?

Ja, nehmen Sie doch zum Beispiel Bocaccio. Der wendet sich gegen einen herrschenden Sittenkodex, wie ihn die Kirche vorgibt. Langfristig bewirkt Literatur hier Veränderung.

Als reine Fortschrittsgeschichte lässt sich das nicht schreiben.

Nein. Das sind Bewegungen epochaler Art, mit Höhen und Tiefen. Es gab schon früh in der Geschichte der europäischen Literatur sehr freizügige Texte, später nimmt man das wieder etwas zurück. FRAGEN: BES

Das Erotische in Sprache und Literatur, heute, 20 Uhr, Haus der Wissenschaft