Der verlorene Alarm

Nach der Demontage tausender Sirenen im Land ist die flächendeckende Alarmierung der Zivilbevölkerung im Katastrophenfall nicht gesichert. Nun möchte sich die Innenministerkonferenz mit der Situation beschäftigen

Samstagmittag, 12 Uhr: Die Alarmsirenen auf den Dächern der öffentlichen Gebäude und Schulen heulen weit hörbar über das Land. Für alte Menschen werden schreckliche Assoziationen wach. Für die Kinder in den 1980er Jahren ist klar: Nun gibt es Mittagessen. In vielen Dörfern und ländlichen Gemeinden trägt sich dieses Ritual immer noch zu, doch vielerorts gibt es die Sirenen nicht mehr.

Nach dem Mauerfall war die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung im eigenen Land gebannt. Die damals 80.000 vom Bund betriebenen Sirenen gingen an die Länder und Kommunen über, die sie zum größten Teil aus Kostengründen demontierten. Hintergrund ist, dass der Bund im Kriegsfall für den Zivilschutz zuständig ist, während die Länder den Katastrophenschutz etwa bei Sturmfluten verantworten. Nach Schätzungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sind lediglich 35.000 der Anlagen weiterhin in Betrieb.

„Es gibt kein öffentliches Warnsystem mehr“, sagt Wolf R. Dombrowsky, Katastrophenforscher von der Uni Kiel. Teils seien die verbliebenen Alarmsirenen in kommunaler Verfügung, teilweise sogar in privater Hand von Unternehmen. Dabei hätte jede Gesellschaft die Pflicht, ihre Mitglieder vor Katastrophen zu schützen, so Dombrowsky. Er bezeichnet ein öffentliches System als „Zierde einer Demokratie“, die wir uns nicht leisten würden. Die offenbar unklaren Verhältnisse und uneinheitlichen Strukturen im Bundesgebiet würden die Sache kompliziert machen. So gäbe es keine einheitlichen Signale für bestimmte Notsituationen und niemand weiß genau, wie viele Menschen durch die Sirenen noch zu erreichen wären. Daher wird auch über einen Wiederaufbau der Anlagen nachgedacht.

„Vorausgesetzt es sind wirklich noch 35.000 Anlagen in Betrieb, würde der flächendeckende Wiederaufbau eines Sirenenwarnsystems rund 130 Millionen Euro kosten“, sagt BBK-Sprecherin Ursula Fuchs. Daher würde über verschiedene alternative Möglichkeiten nachgedacht, die Bevölkerung im Notfall zu alarmieren. Es gäbe zwar Pläne, die Betroffenen über Radio, Fernsehen und Internet zu informieren, doch was in der Nacht geschehen solle, wenn die meisten Menschen nun mal schlafen, sei nicht klar. In Grimma aber sei die Jahrhundertflut 2002 auch in der Nacht gekommen.

Denkbar sei die Installation eines speziellen Chips in Rauchwarnmeldern, die Signale geben könnten. In Hamburg und Schleswig-Holstein immerhin wären Rauchmelder für Neubauten vorgeschrieben. Auch gäbe es die Möglichkeit, über spezielle Radiowecker die Menschen aus den Betten zu bekommen, wie es etwa in Schweden im Falle eines AKW-Störfalls geschehen würde. Diese Möglichkeiten müssten nun von den Innenministern erörtert werden. JAN