„Wir brauchen keine Abschiebehaft“

FLÜCHTLINGE I Ausreisepflichtige müssten besser und unabhängig beraten werden, sagt Pfarrer Bernhard Fricke. Viele landeten nur aus Unwissenheit im Knast

■ 57, evangelischer Seelsorger in den Abschiebegewahrsamen in Grünau und in Eisenhüttenstadt, Brandenburg.

INTERVIEW SUSANNE MEMARNIA

taz: Herr Fricke, der Landesrechnungshof hat den Senat gerügt wegen der hohen Kosten des Abschiebegefängnisses in Grünau. Rot-Schwarz möchte nun eine neue Einrichtung bauen. Brauchen wir die?

Bernhard Fricke: Wir brauchen keine Abschiebehaft, sondern Alternativen dazu.

Wie kann der Staat sonst verhindern, dass ausreisepflichtige Menschen untertauchen?

Man könnte zum Beispiel Meldeauflagen verhängen. Aber vor allem benötigen wir mehr und unabhängige Beratung für diese Menschen. Meine Erfahrung ist, dass viele nicht verstehen, dass sie in Deutschland keine Chancen haben. Da muss sich jemand von einer nicht staatlichen Stelle mit jedem Einzelnen hinsetzen und alles genau erklären. Es müsste auch mehr aufgeklärt werden über Hilfsmöglichkeiten in den jeweiligen Zielländern – und welche Chancen die Menschen haben, wenn sie freiwillig ausreisen. Zum Beispiel, dass sie noch mal ins Asylverfahren kommen können und sie keine Einreisesperre bekommen.

Die meisten gehen ja freiwillig. Wie läuft das ab?

Die Betroffenen bekommen einen Brief, der besagt, bis dann und dann müssen sie ausreisen. Oder es heißt, sie müssen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt bereithalten. Die meisten leben ja in einem Heim und werden dort von der Polizei abgeholt und zum Flughafen gebracht. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht da sind und später aufgegriffen werden, kommen sie in Abschiebehaft. Manche gehen auch später zur Ausländerbehörde und werden dort verhaftet. Viele verstehen nämlich gar nicht, was in diesen Ausreisebriefen steht. Ich finde, die Behörden sind da ein bisschen kleinlich, sie könnten es ruhig noch ein zweites Mal mit einer freiwilligen Ausreise versuchen. Und die Menschen müssten eben gut beraten werden darüber, was die Behörden mit ihnen vorhaben.

Es gibt ja immer weniger Häftlinge in Grünau. Sind die Berliner Behörden so tolerant?

Nein, das weniger. Es gibt wohl im Gegenteil in Berlin einfach viele Flüchtlinge, auf die die Kriterien einer Abschiebehaft zuträfen – für so viele können gar keine Haftanträge gestellt werden. Wir sind darüber glücklich.

Aber warum ist für so wenige Fälle, im Jahresschnitt ist Grünau nur mit 17 Insassen belegt, ein neuer Knast notwendig?

Die Bundesländer müssen so eine Einrichtung vorhalten, das ist ein Bundesgesetz. Außerdem gibt es wohl demnächst eine Gesetzesverschärfung. Die „Ausreise“ soll erleichtert werden durch einen „Ausreisegewahrsam“, so sieht es die Vorlage aus dem Bundesinnenministerium vor. Dann wird es wieder mehr Abschiebehäftlinge geben, befürchte ich. Aber dann ist es sinnvoll, dass sich Berlin und Brandenburg zusammentun und etwas Modernes bauen, wo Menschen gut untergebracht werden können.

■ Demo gegen die geplante Verschärfung des Aufenthaltsrechts: heute 15 Uhr, Brandenburger Tor. Infos: stopasyllaw.blogsport.eu