berliner szenen Das Ende der Geschichte

Auf dem Kindl-Boulevard

Man nennt das wohl postmoderne Architektur, den Stahl, das Glas, die Granitfliesen, die den Kindl-Boulevard machen, das einzig wahre Einkaufscenter Berlins, mitten in der dunklen Herzkammer Neuköllns, auf den Rollbergen. Die 80er sind hier im Wulle noch Wirklichkeit, die 24-h-Videothek hat eine veritable Porno-Abteilung und bei Regen tropft das Wasser an so vielen Stellen durch die gewürfelte Glasdecke, dass das Centermanagement jeden Blumenkübel und Papierkorb aufbieten muss, damit sich die Kunden hier nicht dutzendweise die Oberschenkelhälse brechen.

Es regnet viel im Herbst, also stehen die Eimer dicht an dicht, und die Menschen laufen Slalom. Nur der Rollberg Cowboy steht unbeirrt in seinem Clint-Eastwood-Poncho vor den Schaufenstern der Videothek, ins Nichts starrend und des kommenden Sonnenuntergangs harrend. Stoisch überwindet dieser Blick die Resignation; schließt Frieden mit all den hier oben vermasselten Stadtplanungsprojekten. Seine Gesten, gelebte Gelassenheit: Wie er den Poncho lässig hebt, ihn über die linke Schulter zurückschlägt, die Handschuhe abstreift, in seine Lederhose greift, eine Zigarette hervorziehend, sein silbernes Sturmfeuerzeug aus der Feuerzeugtasche am Gürtel nimmt, den Deckel zurückschnappen lässt und am Feuerstein dreht. Wieder am Feuerstein dreht, wieder dreht und wieder und wieder. Jetzt fummelt er mit beiden Händen daran herum, bis das ganze Ding doch noch einmal auffuntzt, einen letzten Funken sprüht und sonst überhaupt nichts mehr passiert. Langsam geht die Sonne aus, es wird immer dunkler und dunkler, und am Ende tropft, ganz ganz fern nur noch der Regen in einen der Blumenkübel.

DOMINIK ERDMANN