„Mythos von der Bremer Unabhängigkeit“

Bremens Tradition ist nichts Besonderes, sagt der Historiker Alexander Tassis – und kein Grund für heutigen „Autismus“

Bremens Selbstbewusstsein ist, was die Historie angeht, „auf ziemlich viele Märchen“ gegründet. Das sagt der Alexander Tassis, Beiratsmitglied für die CDU und angehender Historiker. Vor allem dem Standard-Werk von Herbert Schwarzwälder wirft Tassis den Hang zur Legendenbildung vor.

Bremen war bis zum Ende des Kaiserreiches 1806 Teil des „Niedersächsischen Reichskreises“, genauso wie Hamburg, Goslar oder zum Beispiel das Fürstentum Ratzeburg, sagt Tassis – also gar nichts Besonderes. Um den Titel als „Reichsunabhängige Stadt“ habe sich Bremen, im Gegensatz zu Augsburg oder Lübeck, hunderte von Jahren nicht bemüht. Als dann die Schweden vor den Toren standen, mussten die Bremer Ratsherren sich den Titel im Jahre 1646 mit rund 100.000 Talern teuer erkaufen. Das änderte an der Verwaltungszugehörigkeit zum Niedersächsischen Reichskreis nichts, das war eher ein diplomatischer Schachzug gegen die Schweden. Die wollte sich Bremen vom Halse halten – und der Kaiser brauchte Geld. Im „Frieden von Habenhausen“ hatte Bremen 1666 nach komplizierten Verhandlungen mit den Schweden sogar angeboten, bis zum Ende des Jahrhunderts auf seinen Status als „Freie Reichsstadt“ ganz zu verzichten.

Alles in allem also eine normale Stadtgeschichte, sagt Tassis: „Die Bremer Freiheitstradition ist weder besonders alt noch besonders freiheitlich nach innen.“ Für Tassis hat die Märchenbildung um die bremische Geschichte heute eher negative Auswirkungen – deswegen ist er bei dem Thema so engagiert: „Daraus leiten sich autistische Strukturen ab“, sagt er. Die norddeutsche Regionalgeschichte werde in Oldenburg und Hamburg erforscht und dort geschrieben – weil Bremen so tue, als habe es damit nichts zu tun. Die angebliche Freiheits-Tradition diene zur Rechtfertigung eines „unglaublichen insularen Autismus“, sagt Tassis: In Bremen nehme man sich nur als Bremer wahr, als wäre drumherum weiße Fläche, Ausland.

Klaus Wolschner

Vortrag, heute 19.30 Uhr, Geschichtenhaus im Schnoor, Wüste Stätte 10