OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Einen Blick auf einige der bedeutendsten deutschen Stummfilme bietet gerade die „Magical History Tour“ im Arsenal. Dazu gehört ohne Zweifel „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) von Paul Wegener und Carl Boese, ein Drama um die Erschaffung eines künstlichen Geschöpfes aus Lehm, das dem Prager Rabbi Loew (Albert Steinrück) und seinen jüdischen Glaubensgenossen im Kampf gegen die bedrohlichen Launen des Kaisers zur Seite stehen soll. Doch die völlige Unberechenbarkeit des Golem (Paul Wegener) führt in eine Katastrophe. Wegweisend waren die Filmbauten von Hans Poelzig, der das Thema der Erschaffung des Golems aus Lehm in der erdverbundenen, gleichwohl tendenziell expressionistischen Architektur des mittelalterlichen Judengettos aufnahm. Über Poelzigs Werk als einflussreicher Architekt und Bühnenbildner des frühen 20. Jahrhunderts kann man sich noch bis Anfang Januar in einer umfangreichen Ausstellung in der Akademie der Künste kundig machen.

Kaum überschätzen kann man den Film auch als Inspirationsquelle für den amerikanischen Horrorfilm der 1930er-Jahre, als vor allem die mit nicht kontrollierbarer Kraft gekoppelte Unbeholfenheit und das unwägbare Verhalten des Wesens zur Vorlage für Frankensteins Monster wurde. Wie schnell die Entwicklung der Filmgeschichte damals voranschritt, lässt sich an der Reaktion eines Kritikers der New York Times ermessen, als F. W. Murnaus Dracula-Verfilmung „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ im Jahr 1929, gut sieben Jahre nach seiner von der Kritik begeistert aufgenommenen deutschen Uraufführung, die amerikanischen Leinwände erreichte. „Eher ein Schlafmittel als ein Thriller“ befand damals jener allerdings bereits an den Tonfilm gewöhnte Mensch, der zudem „die ungewöhnlichen Ideen“ bemängelte und für Murnaus albtraumartig anmutendes stummes Meisterwerk und dessen ungewöhnliche romantische Naturmystik eindeutig kein Gespür bewies. Ein naturalistisches Kammerspiel schuf hingegen Lupu Pick mit seinem Film „Scherben“ (1921): Werner Krauss spielt einen Bahnwärter, der mit seiner Frau und der erwachsenen Tochter in einem kleinen abgelegenen Häuschen in erstarrter Routine und freudloser Bürgerlichkeit lebt. Mit schlurfendem Gang und unbewegtem Gesicht ist Krauss de facto die fleischgewordene Ereignislosigkeit und Langeweile – doch dann erscheint ein Bahninspektor und verführt die Tochter: Die Fassade der Bürgerlichkeit zerbricht. Verzweiflung, Wahnsinn und Mord werden folgen.

Im von Hans Poelzig erbauten Babylon-Kino gibt es derweil Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) zu sehen, der ebenfalls Werner Krauss in der unheimlichen Titelrolle aufbietet. Spektakulär waren seinerzeit vor allem die expressionistischen Bauten und Dekorationen der Maler und Architekten Walter Reimann, Hermann Warm und Walter Röhrig, die den Wahn der Filmfiguren in stilisierte Dekors mit gemalten Schatten, seltsamen Symbolen und vielen schiefen Ebenen umzusetzen versuchten. LARS PENNING

„Der Golem, wie er in die Welt kam“ 16. 11.; „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ 17. 11.; „Scherben“ 19. 11. im Arsenal

„Das Cabinet des Dr. Caligari“ 20. 11. im Babylon Mitte