Mäusejagd tötet seltene Feldhasen

Seehofer-Behörde erteilt Sondergenehmigung für verbotenes Schädlingsgift. Umweltbundesamt verärgert

BERLIN taz ■ Die Vorgeschichte ist kurz, aber dramatisch: Weil der letzte Winter so warm war, haben sich die Feldmäuse rasant vermehrt. Die Bauern waren sauer und streuten ein Supergift, Ratron genannt. Das ist verboten, doch das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erteilte den Landwirten eine Sondererlaubnis. Das Ergebnis: Die Mäuse sind tot – und viele Feldhasen auch.

Nun fängt die Geschichte richtig an, mit Schuldzuweisungen und Kompetenzgerangel. Der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge, ist verärgert: „Feldhasen stehen auf der Roten Liste, sie gelten als bedroht.“ Die Kollegen aus dem anderen Amt ließen „artenschutzrechtliche Bestimmungen außer Acht“. Das Umweltbundesamt untersteht Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), das BVL Bundesagrarminister Horst Seehofer (CDU). Auch Letzterer hat versprochen, den Schutz von Tieren und Pflanzen wieder wichtiger zu nehmen. Schließlich hat die Bundesregierung in der vergangenen Woche die „nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ verabschiedet.

Doch die Seehofer-Behörde hat allein in den ersten neuen Monaten dieses Jahres 38-mal für kurze Zeit Ackergifte erlaubt, die wegen ihrer Nebenwirkungen längst aus dem Verkehr gezogen sind. Mal genehmigte das BVL den Weinbauern, ein Gift zu versprühen, damit lästige Nebentriebe abfallen, die auch per Hand entfernt werden können. Nur ist das aufwendig für die Winzer. „Dann kann niemand mehr den Wein zahlen“, argumentiert BVL-Sprecher Jochen Heimberg. Ein anderes mal erlaubte die Behörde Förstern, den Waldmaikäfer chemisch zu töten. Der Stoff war aber so giftig, dass er auch Vögeln und Schmetterlingen zu schaffen macht.

Immer argumentieren die Beamten, es sei „Gefahr in Verzug“. Normalerweise darf das BVL kein Gift zulassen, wenn die Umweltexperten nicht zustimmen. Doch in Notfällen ist das anders, da kann das BVL das Umweltbundesamt „umgehen“. Troge kritisiert, das könne „gravierende Folgen für den Naturhaushalt und geschützte Arten haben“. Der Umweltbundesamt-Chef will mitreden dürfen, wenn es Sondergenehmigungen für Ackergifte geben soll.

Hätte er den Gifteinsatz gegen Mäuse denn verhindert? Nein, auch wenn bereits pflügen helfe, Gänge und Nester der Mäuse zu zerstören. Aber: „Ratron hätte „nur mit strikten Auflagen genehmigt werden dürfen.“ Das Gift gehöre in „Köderstationen“. Diese haben so kleine Öffnungen, dass nur Mäuse hineinkriechen können, Hasen oder Feldhamster aber sind zu groß dafür. BVL-Sprecher Heimberg allerdings sagt: „Bei vielen Mäusen helfen sie nicht.“ Bauern finden die Stationen jedenfalls umständlich und teuer – sie müssten mindestens 120 Euro investieren, um einen Hektar mit Stationen zu bestücken.

An diesem Donnerstag debattiert nun der Bundestag über das Pflanzenschutzgesetz, in dem geregelt ist, wer wann welche Chemie auf dem Acker zulassen darf. Der Europäische Gerichtshof hat schon letztes Jahr eine Novelle angemahnt, da Deutschland besonders geschützten Tieren und Pflanzen im Gesetz bislang zu wenig Rechnung trage. Der zuständige Agrarminister Horst Seehofer formulierte einige Passagen des Gesetzes neu.

Doch nun steht das gesamte Regelwerk zur Diskussion. Der Bundesrat hat bereits einstimmig beschlossen, dass Umweltexperten künftig noch weniger statt mehr mitreden müssen. Demnach soll das BVL den Rat aus dem Umweltbundesamt auch im Normalfall übergehen können und nicht wie bisher nur bei Sondergenehmigungen. Noch ist offen, wie der Bundestag entscheidet.

HANNA GERSMANN