Die Scheue aus Suomi

BIATHLON Kaisa Mäkäräinen mag keinen Trubel. Trotzdem rechnet sie sich bei der Heim-WM Chancen aus

KONTIOLAHTI taz | Den ersten Vorgeschmack auf das große Schaulaufen im eigenen Land bekam Kaisa Mäkäräinen vor zwölf Monaten. Auf ihrer Hausstrecke in Kontiolahti stand die WM-Generalprobe an – und Finnlands ultimativer Biathlonheldin wurden die Knie weich. „Ich war plötzlich so nervös, dachte, das klappt alles nicht“, erzählt die blonde Skijägerin. Bei der Bekämpfung der eigenen Aufregung halfen Mäkäräinen dann aber ihre guten Ortskenntnisse. „Ich habe mir“, erinnert sie sich, „eine ruhige Ecke gesucht, bin zehn Minuten lang in mich gegangen und hab mich gefragt: Warum machst du dir so einen Stress? Hier ist doch alles wie im Training.‘“

Psychologische Kniffe wird Mäkäräinen auch jetzt, in der verheißungsvollen Abenddämmerung ihrer Karriere, wieder benötigen. Gemeinsam mit der Weißrussin Darja Domratschewa dominierte die 32-Jährige in diesem Winter den Weltcup, vor allem in der Loipe war das weibliche Duo meist eine Klasse für sich. Kein Wunder im Fall der früheren Spezialistin Mäkäräinen, die vor zwölf Jahren zum Biathlon wechselte.

In ihrer Heimat mit all den berühmten Eishockeyspielern, Skispringern und Langläufern betrat sie damit den kleinen Kreis jener wunderlichen Geschöpfe, die mit Gewehr auf dem Rücken durch die Wälder flitzen. Doch nach und nach wurden die Finnen aufmerksam auf die Frau aus Ristijärvi im mittleren Osten des Landes: 2005 erlebte Mäkäräinen ihre WM-Premiere.

2010 gewann sie beim Saisonstart in Östersund ihre ersten beiden Weltcuprennen – und drei Monate später war sie Weltmeisterin. Solch ein Coup war zuvor keiner finnischen Biathletin geglückt. Die Anerkennung im Land der tausend Seen ließ nicht lange auf sich warten. Aber mit dem ganz großen Tamtam kann sie wenig anfangen, das verdeutlichen auch ihre Auftritte im Zeichen der fünf Ringe: Vor fünf Jahren in Vancouver war Platz 45 in der Verfolgung ihre Top-Platzierung – und vor 13 Monaten in Sotschi produzierte Mäkäräinen als bestes Ergebnis Rang sechs im Massenstart.

Diese zweite olympische Enttäuschung erklärt die Skandinavierin mit ihrem Hang zur Einsamkeit. „Ich komme aus einem kleinen Ort, in dem nur sehr wenige Menschen leben. Ich mag die kleinen Hotels“, erzählt sie – und denkt zurück an das monströse Gegenstück: „Bei Olympia im letzten Jahr dachte ich mir: Das sind einfach zu viele Leute hier – auch wenn es ihnen völlig egal ist, was ich mache.“

Weltmeisterschaften, sagt Mäkäräinen, seien ihr viel lieber als Olympische Spiele. „Nach meinem WM-Titel in Chanty-Mansijsk wussten die Finnen endlich, dass eine Sportart Biathlon existiert und eine von ihnen darin ganz gut ist“, sagt sie. Dieses Wissen haben die Bewohner von Suomi inzwischen inhaliert, deshalb werden sie am Samstag auch zahlreich ins Biathlonstadion von Kontiolahti strömen. Dann startet Mäkäräinen mit exzellenten Aussichten auf eine WM-Medaille im Sprint.

Das ist eine klassische Stresssituation für die Skijägerin, die sich im letzten Sommer in der Saisonvorbereitung zwar schon mal dem deutschen Team angeschlossen hat, ansonsten aber bevorzugt allein trainiert. Allein wird sie in den nächsten zehn Tagen bei sich vor der Haustür definitiv nicht sein – deshalb hat Mäkäräinen mit den psychologischen Kniffen diesmal etwas früher begonnen.

„Mit einer Medaille wäre ich glücklich“, sagt sie. Und: „Ich hoffe, dass die Leute daran denken, dass ich ein Mensch bin und keine Maschine.“ Sollten die Finnen sie wider Erwarten aber doch für einen Roboter halten, greift Entspannungsstufe zwei. Und die lautet bei der schnellen Frau vom Skiklub Kontiolahden Urheilijat: „Ich weiß, dass das Leben weitergeht – egal, was bei der WM passiert.“ ANDREAS MORBACH