Modernismus macht müde

ROMANTIK Florian Illies, Geschmackssoziologe und Überzeugungspreuße, hat die Seiten gewechselt. In der Villa Grisebach ist er heute für eine Auktion von Werken aus dem 19. Jahrhundert verantwortlich

Eignen sich die Sonnenuntergänge der Dresdner Romantik tatsächlich als Prozac für die angefressene Seele des jungen Geschmacks- bürgertums?

VON KITO NEDO

Noch hängt das Landschaftsgemälde „Blick auf Hamburg“ an der Wand von Florian Illies’ Büro im vierten Stock der Charlottenburger Villa Grisebach: ein strahlend blauer Himmel, umrahmt von einer dramatischen Wolkenformation, darunter breitet sich das Elbe-Urstromtal mit seinen ockerfarbenen Sandfelsen aus. Die Stadt jedoch, um die es hier laut Titel doch eigentlich gehen soll, ist fast nur zu erahnen: wie mit dem Haarpinsel hat der Maler Adolf Carl um 1838/39 auf der Horizontlinie mehrere Kirchturmspitzen hochgezogen.

Am Mittwochnachmittag kommt das Los 147 zur Versteigerung, der Schätzpreis liegt zwischen 22.000 und 26.000 Euro. Bei der Kunst des 19. Jahrhunderts handle es sich „um ein im besten Sinne ‚unbekanntes Land‘“, sagt Florian Illies. Vielleicht nicht mehr lange.

Zum ersten Mal betreut Illies bei Grisebach eine Auktion nur für die Kunst des 19. Jahrhunderts. Außer Caspar David Friedrich sind viele maßgebliche Künstler der Periode dabei: Carus, Corinth, Hummel, Rottmann und Schinkel. Traditionell liegt der Schwerpunkt der Westberliner Institution in der Fasanenstraße, die gerade ihr 25-jähriges Bestehen feiert, hingegen bei der Kunst der klassischen Moderne. Insgesamt werden in den sechs Auktionen von Mittwoch bis Samstag 1463 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Grafiken und Fotografien zur Versteigerung kommen. Gerechnet wird mit einem Gesamtumsatz von rund 22 Millionen Euro.

Der geübte Spürsinn des Geschäftsmanns

Ästhetisch soll der Auktionsauftakt mit Werken aus der neuen Abteilung für das 19. Jahrhundert einen frischen Blick auf die Kunst der Epoche ermöglichen: „Wir haben uns bemüht, Werke auszuwählen, die uns ansprechen und begeistern, die uns sogar atemlos machen aufgrund der handwerklichen Qualität, aber auch der Modernität, die man da plötzlich sieht“, sagt Illies. Alles, „was den schlechten Ruf des 19. Jahrhunderts lange begründet hat – das Genrehafte, Anekdotische, Ausgemalte der Bilder“ –, hat man bewusst zu vermeiden versucht.

Verglichen mit dem 18. Jahrhundert, der klassischen Avantgarde oder der zeitgenössischen Kunst rufen die deutsche Romantik und der Klassizismus – ebenso wie Fotografie oder Editionen – noch moderate Preise auf. Hier zeigt sich der Spürsinn des geübten Geschäftsmanns Illies: Wer heute anfängt, Kunst zu sammeln, kauft womöglich diese Bilder.

So ist die Premiere auch ein Test: Eignen sich die kleinformatigen Ölstudien und Zeichnungen von italienischen Landschaften oder die Sonnenuntergänge der Dresdner Romantik tatsächlich als Prozac für die angefressene Seele des jungen deutschen Geschmacksbürgertums, das sich in den besseren Lagen Berlins mittlerweile gesammelt hat? Passen sie in die renovierten Beletagen Charlottenburgs, Potsdamer Villen und Mitte-Townhouses?

Zumindest glaubt der Geschmackssoziologe Illies, erste Abnutzungserscheinungen an der ästhetischen Weltformel des Modernismus ausmachen zu können: „Irgendwann gibt es eine gewisse Müdigkeit gegenüber der fünfzigsten Wohnung mit Eames-Möbeln und der Thomas-Ruff-Fotografie obendrüber.“

Auf Illies’ Tisch stapeln sich die Fachzeitschriften, Kunstbände und Kataloge, als arbeite er schon seit Jahren an der Fasanenstraße. Tatsächlich ist der 1971 in Oberhessen geborene ehemalige Journalist und studierte Kunsthistoriker erst seit dem Sommer für das Geschäft mit der Kunst des 19. Jahrhunderts bei Grisebach zuständig. Zuvor war er Feuilletonchef bei der Zeit. Als die Nachricht vom geplanten Seitenwechsel des Autors ins Auktionshaus im vergangenen Winter die Runde machte, mochten es viele nicht glauben: der „Generation Golf“-Bestsellerautor räumt den einflussreichen Posten bei der Zeit, um in Charlottenburg Kunst zu verkaufen? Wird ihm da nicht langweilig? Oder hat er etwas begriffen, was andere noch nicht begriffen haben?

Sein geräuschloser Abgang aus der Mediensphäre war ein Kunststück an sich. „Die unerwartete Entscheidung von Florian Illies hat in der Chefredaktion größtes Bedauern ausgelöst“, erklärte Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im letzten Dezember. Das war’s auch schon. In einem seiner Bücher steht der Satz: „Ich könnte mir vorstellen, einmal etwas ganz anderes zu machen.“ Sieht so ein Bartleby-Moment aus? Der Wechsel zu Grisebach sei wohl für die Öffentlichkeit weit überraschender gekommen als für ihn selbst, sagt Illies. „Nun bin ich sozusagen ganz bei meinen Ursprüngen, meiner großen Leidenschaft angekommen“, sagt er.

Lautsprecher des neokonservativen Berlins

Von seinem neuen Traumjob in Kunst und Kommerz will Illies gar nichts geahnt haben, bis ihm der Villa-Grisebach-Gründer Bernd Schultz im Sommer 2010 bei einem Spaziergang um den Grunewaldsee im Gespräch ein spontanes Angebot unterbreitete. Zum Auktionshaus ist er nun als Partner gegangen, als geschäftsführender Gesellschafter. Und natürlich füttert er damit auch wieder diese Irritation, die ihn umgibt, seit er Ende der Neunzigerjahre als Autor eine öffentliche Figur wurde. Seine flammenden Baut-das-Schloss- Artikel, die er Anfang der nuller Jahre als Dreißigjähriger fast wöchentlich im FAZ-Feuilleton in Richtung Politik abfeuerte, machten ihn zum Repräsentanten des jungkonservativen Berlins. Zum Überzeugungspreußen Illies passt die neue Charlottenburger Bürokulisse gut: die Biedermeier-Chaiselongue und das goldfarbene Mokka-Service, das auf einer Kommode neben der Gottfried-Benn-Biografie geparkt ist. Ja, irgendwie so stellt man sich den intellektuellen Erben von Wolf Jobst Siedler vor.

Vielleicht hat man ihn auch immer nur missverstanden, als den zeitgeistigen Achtziger-Jahre-Chronisten, der der ehemaligen Popper-Jugend ihr Generationsmanifest schenkte. Missverstanden als Feuilleton-Erneuerer, der als Berliner-Seiten-Macher zwischen 1999 und 2002 der FAZ einen lokalen Kulturteil verpasste, in dem viele gute junge Autoren aus Berlin zu Wort kamen, die man aus einem ganz anderen Umfeld kannte. Und wer sagte, dass man als junger Konservativer kein Magazin für Gegenwartskunst an den Kiosk bringen darf? Das 2004 gegründete Heft heißt Monopol.

In der Veränderung liegt womöglich das Geheimnis, das Illies immer wieder zum Erfolg verhilft. Für das Auktionshaus hat er gleich ein neues Hausmagazin gegründet. Das Grisebach-Journal über „Kunst, Menschen und Werte“ soll Geschichten zu ausgewählten Werken der Auktionen erzählen und im Kampf der Auktionshäuser um die Sammler die Grisebach-Gemeinschaft stärken. Mit Autoren wie dem Fotohistoriker Wilfried Wiegand, dem ZDF-Journalisten Claus Kleber oder dem SZ-Feuilletonisten Gustav Seibt liefert das Heft quasi inhouse den für den Kunstmarkt so wichtigen intellektuellen Kontext gleich mit. So funktioniert nachhaltige Wertschöpfung.

Wird Illies seine Erfahrungen aus dem Auktionswesen demnächst in einem neuen Buch verarbeiten? Das könne er ganz und gar ausschließen, sagt er: „Diskretion ist neben der Kennerschaft das höchste Gut des Kunsthändlers. Deswegen müssen und werden meine Autorenambitionen ganz sicher in andere Gebiete fließen.“ Einen Moment hat er gezögert, nun aber ist er mit seiner Antwort zufrieden.

■ Die Kunst des 19. Jahrhunderts wird heute um 14.30 Uhr versteigert. Weitere Auktionstermine unter www.villa-grisebach.de