ortstermin: engels im bremer rathaus
: „Was feßelt den Geist, was beuget die Seele?“

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Goldgeränderte Tassen, wappengeprägtes Gestühl, auf dem Holztisch stapeln sich stattliche 600-Seiter. Fraglos ein würdiges Ambiente, um einen Lückenschluss zu zelebrieren. Die Lücke heißt „Friedrich Engels, die Bremer Jahre“. Im Amtszimmer des Bremer Bürgermeisters wird sie geschlossen: Autor Johann-Günther König hat akribisch dokumentiert, was der junge Mann zwischen 1838 und 1841 in Bremen so alles getrieben hat – neben seiner Lehre in einem Kaufmannskontor. Kurz gesagt: Engels führte ein Doppelleben als Journalist und avancierte innerlich zum Junghegelianer. Der Bürgermeister wiegt bedächtig sein Haupt.

Nun ist es keineswegs so, dass sich Bremen nicht ab und an seines protomarxistischen Mitbürgers entsinnen würden. Anfang der 1990er machten ihn die hiesigen Rechtsradikalen zu ihrem Kronzeugen, in dem sie per Hauswurfsendung verkündeten: „Friedrich Engels würde DVU wählen“ – genauso wie Wilhelm Kaisen oder Friedrich Ebert, der in Bremen mal eine Kneipe betrieb. Und pünktlich zu Beginn des derzeitigen Jahrtausends entdeckte die Junge Union auf dem Bremer Stadtplan eine Friedrich-Engels-Straße – um unverzüglich deren Umbenennung zu fordern. Schließlich habe Engels „diametral gegen Demokratie und Marktwirtschaft verstoßen“. Letzteres wird man kaum bestreiten können.

Als Stichwortgeber dieser versuchten Flurbereinigung fungierte Pastor Jens Motschmann, und der ist – Achtung: ein Bogen wird geschlagen! – Nachnachnachnachnachfolger von Engels’ weiland Hauswirt Georg Gottfried Treviranus, dem Pastor von St. Martini. Anders gesagt: Es war der Versuch des posthumen Rausschmisses eines ungeliebten Hausgenossen.

Um so triumphaler nun Engels’ Einzug in das bürgermeisterliche Amtszimmer. Hausherr Jens Böhrnsen gehört schließlich einer Partei an, deren Urmutter der revolutionäre Marxismus ist. SPD. Und immerhin hat Willy Brandt 1970 ein Postwertzeichen durchgesetzt, dass vielen Anfeindungen trotzen musste. Nach dem Motto: Was auf einem 50-Mark-Schein der DDR drauf ist, kann keine BRD-Briefmarke werden.

„Wir freuen uns sehr, dass dieses Buch geschrieben wurde“, majestätpluralt der Bürgermeister. Autor König bedankt sich mit dem Satz: „Wenn Engels sich in Bremen nicht so hätte entwickeln können, wäre sein Leben anders verlaufen.“ Was den Weltenlauf en gros ja fraglos mit einschließt.

In der Tat: Zwei Stockwerke tiefer, im Ratskeller, hat Engels seinen Lehrlingsfrust öfter mal begossen. Wahrscheinlich dichtete er dort auch. Zum Beispiel sein „Impromptu gegen die Geizigen“: „Was feßelt den Geist, was beuget die Seele? Was hemmt den Pulsschlag erglühender Lust? Was enget die hochaufjuchenzende Kehle? Was schnüret zusammen die schwellende Brust? So hört’s denn ihr Freunde, im traurigen Kreise, vernehmet denn laut die traurige Weise: Das Geld ist’s, das schnöde, verächtliche Geld.“

Leider endet der Ortstermin ohne Rezitation. Dabei hätte König, gemeinsam mit Böhrnsen, auch in verteilten Rollen Dramatisches darbieten können. Etwa den dritten Aufzug der ersten Szene von Engels „Cola di Rienzi“. Böhrnsen: „Wohlauf, Ihr Herrn, der Lust geweiht und dem Pokal sei diese Nacht!“ Aber Böhrnsen ist ein bedächtiger Mann. Er will erst mal das Buch lesen. Eine gute Idee. HB