Berliner Platten
: Zeig mir deine Schmerzen und was dir so missfällt: Die Kapelle Weyerer will einem mit Poprock helfen, während BossHoss die Hits gar nicht mehr brauchen

Man möchte ja meinen, Bandnamen sind mit Bedacht gewählt. Schließlich sind sie doch oft der erste Kontakt mit dem potenziellen Kunden und sollten im Idealfall zumindest andeuten, um welche Musik es sich handeln könnte. Was signalisiert dann wohl ein Name wie Kapelle Weyerer? Jazzrock, DDR-Retrospektive, Bänkellieder im Roaring-Twenties-Gewand? Weder noch. Endgültig scheitern solche voreiligen Interpretationsversuche dann am Albumtitel: „!practice liebe!“ heißt das Debüt der Band um den Sänger und Gitarristen Stefan Weyerer. Und das ist bei weitem nicht so prätentiös geraten wie sein Titel: Weitestgehend spielt die Kapelle nämlich einen recht schlichten, auf meist herkömmlich verzerrten Gitarren beruhenden Poprock, der durchsetzt ist von Keyboard-Schlieren.

Der Herr Weyerer, der früher einmal mit einer Band namens Der Große Wah (da scheint eine Tradition vorzuliegen) eine ziemlich erfolglos gebliebene Liaison mit einer großen Plattenfirma einging, singt dazu immer ein bisschen verhalten, als würde er gerade keine Luft bekommen. Vielleicht liegt es auch an den Texten. Was soll man davon halten, wenn „Silbermonde strahlen“ oder „Träume zertanzt“ worden sind? Wenn sich „Berufsverkehr“ reimt auf „alles leer“, „Visionen“ auf „lohnen“, „gegen alles rebellieren“ auf „dich zu verlieren“? Wenn einer einen ansingt: „Zeig mir deine Schmerzen und was dir so missfällt, vielleicht kann ich’s ausmerzen“? Ist das nun genial oder doch eher peinlich? Entscheiden wir uns für irgendwas dazwischen, weil Weyerer seine Texte meist so überzeugend knödelt, dass man ihm nicht böse sein mag.

Überlegungen, wie sie The BossHoss lange schon nicht mehr quälen. Der Band um Alec „Boss Burns“ Völkel und Sascha „Hoss Power“ Vollmer durfte nie etwas peinlich sein, schließlich hatte man sich dereinst entschlossen, die Karikatur einer Country-Band darzustellen. Das ironische Kuhjungen-Image trug so gut, dass sie bisweilen gar für waschechte Amerikaner gehalten wurden, wenn sie ihre Nashville-Versionen aktueller Chart-hits und unkaputtbarer Evergreens aufführten.

Weil sich aber auch der allerbeste Witz mal abnutzt, vernachlässigt die mittlerweile zum Septett gewachsene Band auf dem dritten Album „Stallion Battalion“ endgültig ihr eigentliches Kerngeschäft. Schon auf dem zweiten Album fanden sich ebenso viele eigene Songs wie Coverversionen, und nun dominieren endgültig die Eigenkompositionen. Die fallen neben „Everything Counts“ von Depeche Mode oder Snoop Doggs „Drop It Like It’s Hot“, die diesmal durch den Kakao gezogen werden, überraschend wenig ab: Hier hat wohl das jahrelange Studium von Hitsongs Früchte getragen. The BossHoss wissen mittlerweile selbst ganz gut, wie man eine eingängige Melodie schreibt, und versuchen nun mit aller Macht, das Image vom musikalischen Jokus abzulegen. Bleibt nur die Frage, ob man unbedingt eine Berliner Band braucht, die – wenn auch mittlerweile überaus routiniert – in letzter Konsequenz dann doch nur Country-Klischees rekapituliert? THOMAS WINKLER

Kapelle Weyerer: „!practice liebe!“ (Mystery/Pool Music), live: 27. 11. Frannz, 7. 12. Zosch

The BossHoss: „Stallion Battalion“ (Island/Universal)