die taz vor 6 Jahren berichtet über das phänomen der kanzlergattin als produkt des zeitgeistes
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Als selbstbewusst und souverän, als starke Persönlichkeit wird Hannelore Kohl von Leuten geschildert, die ihr persönlich begegnet sind. Dem Bild, das die Medien von ihr gezeichnet haben, entspricht diese Charakterisierung nicht: Dort erschien sie als als biedere, vielleicht sogar hausbackene Frau, die selbst dann immer einen halben Schritt hinter ihrem Mann zu gehen schien, wenn sie direkt neben ihm lief.

Hat Helmut Kohl das so gewollt? Kam es ihren eigenen Wünschen entgegen? Oder haben gnadenlose Journalisten gerne Hannelore Kohl zur Karikatur herabgewürdigt, um mit ihrer Person den Vorwurf der dumpfen Provinzialität belegen zu können, der gegen den ehemaligen Bundeskanzler vor allem in den ersten Jahren seiner Regierungszeit erhoben wurde?

Wahrscheinlich verrät das Bild der jeweiligen Kanzlergattin in den Medien weit mehr über den herrschenden Zeitgeist als über die reale Person. Der Part, den Hannelore Kohl übernommen hatte, passte Gegnern und Freunden ihres Mannes gleichermaßen gut ins Konzept. Er war angetreten, die geistig-moralische Wende in Deutschland herbeizuführen. Darunter verstand seine Partei auch die Rückbesinnung auf die Frau als Ehefrau und Mutter, die ihre vornehmste Aufgabe darin sieht, dem starken Mann den Rücken freizuhalten.

Wäre dieses Bild der Ehefrau eines Regierungschefs auf dem Höhepunkt der Frauenbewegung in den 70er-Jahren vorstellbar gewesen?

Was wäre die Reaktion gewesen, hätte Hannelore Kohl eine eigene politische Meinung zu erkennen gegeben, vielleicht sogar ausgesprochen – die sie, allen Bekundungen von Bekannten zufolge, durchaus hatte und die auch keineswegs stets mit der ihres Mannes übereinstimmte? Schwer zu sagen.

Bis zu ihrem Tod hat sie niemals die Grenzen der Konvention berührt, geschweige denn gesprengt. Ob sie es manchmal gerne getan hätte?

Bettina Gaus, 6. 7. 2001