: Bloß nicht in die Queere kommen
FEMINISMUS Brauchen politisch engagierte Frauen noch jene geschützten Räume, die in den 80ern und 90ern hart erkämpft und teilweise besetzt wurden? Ein Treffen zweier Generationen in der Begine in Schöneberg, dem ältesten Frauencafé der Stadt
■ Transidentität: Dieser Begriff wurde in den 70er Jahren aus einer Kritik am vorher üblichen Begriff Transsexualität entwickelt: trans zu sein sei keine Frage der sexuellen Präferenzen, sondern der geschlechtlichen Identität. Seit den 90er Jahren wird zunehmend auch der Begriff Transgender verwendet, der die soziale Komponente von Geschlecht betont.
■ Queerfeminismus: Queerfeministische Ansätze gehen davon aus, dass Geschlecht nicht oder nicht nur eine biologische Kategorie ist, sondern sozial konstruiert wird. Daraus leitet sich auch eine Kritik an der Aufteilung in zwei Geschlechter ab: Stattdessen gebe es eine Vielzahl von Geschlechtern, die auch im Leben eines Menschen immer wieder wechseln können.
VON MALENE GÜRGEN (TEXT) UND ANJA WEBER (FOTOS)
Die Potsdamer Straße an einem Märznachmittag ist ein belebter, aber nicht unbedingt freundlicher Ort. Der Himmel ist grau, die Gesichter der auf der Straße entlanghetzenden Menschen sind es auch. Dazwischen ein sonnengelbes Schild: „Begine – Kultur für Frauen – Frauenkneipe“. In den Fenstern hängen Plakate für die nächsten Veranstaltungen: die „Tanzfieber-Party mit Marion“, den Frauentauschring „Ladies TauschTraum“.
Drinnen Wände im gleichen Sonnengelb, die Theke im vorderen Teil des Raums, ein Klavier im hinteren. An den Wänden sehr bunte Bilder. Hier sitzen Barbara Hoyer und Manu Giese, 59 und 54 Jahre alt, früher mal ein Paar und Urgesteine der Begine, die im nächsten Jahr 30 wird. Daneben Anna, 26 Jahre alt, die seit fünf Jahren in Berlin lebt, lange Teil eines queerfeministischen Tresenkollektivs war und sich auskennt in dem, was als „netzfeministische Szene“ bezeichnet wird. Alle drei sind lesbisch, alle drei verstehen sich als Feministinnen. Anna stellt da allerdings noch ein „Queer“ davor, während die anderen hinter dieses Wort wiederum kein „-feminismus“ setzen würden – aber dazu später mehr.
In der Begine ist Anna an diesem Tag zum ersten Mal, die drei duzen sich trotzdem sofort. Erst mal einen Kaffee. Alle drei reden sehr bestimmt: Es ist offensichtlich nicht das erste Mal, dass sie sich über die Themen dieses Gesprächs Gedanken machen. Wörter wie Cis-Männer – also Menschen, die bei ihrer Geburt als männlich identifiziert wurden und sich auch selbst so definieren, im Unterschied zu Trans-Männern – benutzen alle drei ganz selbstverständlich.
Manu: Männer hatten hier von Anfang an keinen Zutritt, und das ist bis heute so.
Barbara: Das ist mir politisch wichtig, dass es solche Räume gibt. Und ich brauche das auch persönlich
Anna: Das geht mir auch so. Als ich aus meiner ostwestfälischen Kleinstadt nach Berlin gekommen bin, war es unglaublich wichtig für mich zu entdecken, dass es hier solche Räume gibt.
Barbara: Ja, dieses Erlebnis hatte ich auch, als ich nach Berlin gekommen bin.
Anna: Heute habe ich mir auch privat ein fast komplett cistypenfreies Umfeld geschaffen und habe deswegen im Moment gar nicht mehr so das Bedürfnis, viel wegzugehen. Früher war ich oft im Silverfuture, kennt ihr das?
Barbara: Nee, kenn ich gar nicht.
Anna: Das ist eine queere Bar auf der Weserstraße. Seit sich die Straße so verändert hat, ist das kein Ort mehr, an dem ich mich wohl fühle. Da verirren sich jetzt immer öfter unangenehme Typengruppen hin, die nicht wissen, was das für ein Raum ist.
Barbara: Daran sieht man, dass es wichtig ist, eine klare Türpolitik zu haben – auch wenn das nicht immer einfach ist.
Das Haus, in dessen Erdgeschoss die Begine ihren Platz hat, wurde 1981 von Frauen besetzt, Manu war damals schon dabei. Die Besetzerinnen gründeten einen Verein, und sie setzten das baufällige Haus im Auftrag des Senats instand – nach Feierabend und am Wochenende. Alle drei Monate fand eine Bauabnahme statt. War alles korrekt, bekamen sie die nächste Summe Geld für die Sanierung.
1986 dann war das Haus renoviert, und im Erdgeschoss wurde die Begine gegründet. Kulturzentrum, Kieztreff, Frauenkneipe. „Wir galten damals in der Szene eher als die Bürgerlichen. In der Frauenbar ‚Pelze‘ nebenan trafen sich die Avantgardistinnen, die fanden uns langweilig“, sagt Barbara, die 1990 zur Begine kam.
Anna und ihr Umfeld, das wird im Laufe des Gesprächs deutlich, bewegen sich in anderen Räumen als Barbara und Manu. Nicht nur, dass Anna eher in die queeren Bars und Clubs in Kreuzberg und Neukölln geht, als in die schwul-lesbischen Klassiker in Schöneberg. Vor allem nutzt sie einen Ort, den Barbara und Manu nach eigener Einschätzung ungefähr so gut kennen wie Anna bisher die Begine: die queerfeministische Blogosphäre, die spätestens seit der Gründung des Blogs „Mädchenmannschaft“ im Jahr 2007 blüht und gedeiht. Viele in Annas Umfeld schreiben eigene Blogs, und auch wenn sie sich selbst nicht als Netzaktivistin bezeichnen würde, sei das doch ein nicht wegzudenkender Teil ihrer Auseinandersetzung mit diesen Themen.
Anna: Da ist ein Netzwerk entstanden, das superschnelle Reaktionen und Mobilisierungen ermöglicht. Texte werden verbreitet und kommentiert, Kampagnen ins Leben gerufen. Da findet ganz viel wichtige Diskussion statt.
Barbara: Tatsächlich kenne ich das aus meinem Umfeld jetzt nicht so, dass man hauptsächlich im Internet unterwegs ist. Für uns ist die direkte Begegnung schon sehr wichtig.
Anna: Ich würde das nicht im Widerspruch sehen zu dem, was es an physischen Räumen gibt – das muss zusammengedacht werden. Und oft landen Diskussionen oder Mobilisierungen aus dem Netz dann am Ende ja auch wieder in der Stadt und auf der Straße – und andersherum.
■ Zum Besuchen:– Frauenzentrum Schokofabrik, Mariannenstraße 6, Kreuzberg – Frauenzentrum Paula Panke, Schulstraße 25, Pankow – Interkulturelles Frauenzentrum Susi, Innsbrucker Straße 58, Schöneberg – Lesbenarchiv Spinnboden, Anklamer Straße 38, Mitte
Barbara: Ich weiß nicht. Ich finde schon, dass sich da etwas sehr nebeneinanderher und getrennt voneinander entwickelt. Das klingt toll, was du da beschreibst. Aber ich als Mensch, der nicht so viel im Internet unterwegs ist, bin doch davon ausgeschlossen.
Schnittpunkte gibt es dennoch: Der Erfahrungsaustausch mit älteren Femininistinnen sei ihr und ihrem Umfeld wichtig, sagt Anna, das Lesbenarchiv „Spinnboden“ in Mitte ein Ort, den sie gerne besuche. Und Barbara berichtet von einer Lesung einer Mädchenmannschafts-Bloggerin in der Begine: „Das war toll, da saßen die Älteren und die Jungen zusammen und haben diskutiert, über Begriffe und Bewertungen, aber ganz solidarisch und aneinander interessiert.“
Kaum verändertes Konzept
Es sei schon so, dass die Begine eher von Frauen über 40 besucht werde, sagt Manu. Vielleicht liege das auch daran, dass in all den Jahren das Konzept nur wenig verändert wurde: Es gibt die Kneipe, die in der Regel ab 17 Uhr geöffnet ist, und es gibt das Kulturzentrum, das die fast täglich stattfindenden Veranstaltungen organisiert und sich der Förderung unbekannter Künstlerinnen verschrieben hat. Das Kulturzentrum wird von der Senatsverwaltung für Frauen gefördert, jedes Jahr müssen neue Anträge gestellt werden, „aber das kennen wir. So etwas wie Planungssicherheit hatten wir nie“, sagt Barbara.
Nach der Wende wurde die Hälfte der Förderung gestrichen. Manu, Barbara und der Rest des damaligen Teams stiegen deswegen in den 90er Jahren aus, die Kneipe und das Kulturzentrum wurden daraufhin getrennt organisiert. Seit 2004 sind die beiden wieder dabei, und seitdem gibt es auch wieder ein Team, das sich um beide Bestandteile der Begine kümmert. Eine 25-Stunden-Stelle ist durch die Förderung finanziert, der Rest läuft ehrenamtlich. „Eine Kneipe nur für Frauen wird sich finanziell nie tragen. Das hat einfach mit dem unterschiedlichen Trinkverhalten zu tun“, sagt Barbara.
Etwa einmal im Jahr gebe es im Team die Diskussion, ob man die Kneipe nicht doch auch für Männer öffnen sollte, sagt Barbara. Bisher konnten sich die Gegnerinnen einer solchen Öffnung immer durchsetzen.
Barbara: Das Verbot gilt auch für Transmenschen. Wenn die zu männlich aussehen, dann sagen wir klar, dass das nicht geht.
Anna: Ihr macht also am äußerlichen Erscheinungsbild fest, ab wann eine Transperson, die vorher ein und aus gegangen ist, plötzlich nicht mehr reindarf?
Manu: Ja, das ist auch manchmal schwierig, wenn Frauen diesen Prozess durchmachen und wir ihnen irgendwann sagen müssen, es tut uns leid, aber du kannst hier jetzt nicht mehr rein.
Anna: Das finde ich superkrass – wie wird denn entschieden, ab wann eine Person dann „zu männlich“ aussieht? Und hat das dann nichts mit anderen Dingen wie Verhalten zu tun? In den queerfeministischen Orten, in denen ich mich bewege, sind Transpersonen ganz explizit mitgedacht und mitgemeint. Wobei auch diese Räume keine diskriminierungsfreien Räume sind, auch dort gibt es Ausschlüsse. Das Wohlfühlen einiger geht immer auf Kosten anderer.
Barbara: Wir haben hier auch Besucherinnen, die einen Schutzraum wollen, weil sie zum Beispiel Gewalterfahrungen gemacht haben. Da geht es nicht, dass wir hier Leute sitzen haben, die äußerlich nun mal einfach wie Männer aussehen. Für Transfrauen sind wir natürlich offen.
Anna: Mit Betroffenen sexualisierter Gewalt parteilich zu sein ist mir auch sehr wichtig. Das steht für mich auch nicht im Widerspruch dazu, Kritiken an eurer Position zu und Auseinandersetzung mit trans* zu haben. Das ist auch ein Grund, weshalb das dann hier nicht unbedingt ein Raum für mich ist. Also vielleicht mal für eine Veranstaltung, aber regelmäßig herkommen würde ich nicht. Da ist der politische Konflikt doch zu groß.
Barbara: Das finde ich schade und auch sehr eng gedacht von dir.
■ Demo: Unter dem Motto „Feministische Kämpfe verbinden!“ startet am Sonntag um 13 Uhr ein Protestzug am Rosa-Luxemburg-Platz. Angemeldet sind 5.000 Teilnehmer. (Siehe Interview rechts)
■ Blumen: Die SPD verschenkt am 7. März an Ständen in der ganzen Stadt 28.000 Rosen. Wie bei anderen Lockangeboten dieser Art soll man sich danach über sozialdemokratische Ziele informieren.
■ Tiere: Im Tierpark findet am 8. März, 10 Uhr, eine Spezialführung „Frauenpower“ statt. Dabei geht es, so die Ankündigung, zu den Hyänen, bei denen Männer absolut nichts zu sagen haben. Das Rudel werde immer von einem Alphaweibchen geführt, das nicht nur genauso groß sei wie ein Männchen, sondern sogar einen Scheinpenis habe. Die Führung ist offen für die ganze Familie. (taz)
Anna: Ich kann ja schon nachvollziehen, dass ihr wollt, dass das hier ein Frauenraum ist. Aber dann muss das doch heißen, dass alle, die sich als Frau definieren, hier reindürfen und nicht nach Aussehen aussortiert wird. Das ist eine wichtige queerfeministische Erkenntnis, finde ich.
Barbara: Und genau mit diesem Queer habe ich eben meine Probleme. Ich war schier entsetzt, als ich mit ansehen musste, wie das Aufkommen von Queer unsere feministischen Forderungen unterhöhlt hat.
Dass die drei Menschen am Tisch kaum gemeinsame Treffpunkte haben, liegt nicht nur daran, dass sie in verschiedenen Stadtteilen leben oder unterschiedlich viel das Internet nutzen. Es sind auch politische Fragen, die zu den räumlichen Trennungen führen: die Haltung zu Transidentität, zu Sexarbeit, zu Zweigeschlechtlichkeit. Fragen, die nicht neu sind, die aber unvermindert für Zündstoff sorgen. Nichtsdestotrotz ist zwischen den dreien viel Respekt und Verbundenheit zu spüren. Und immer wieder betonen sie, wie wichtig eine solche Auseinandersetzung zwischen den Generationen sei. Und wie schade es sei, dass sie nicht öfter geführt werde.
Die möglichen Orte für solche Debatten werden tatsächlich weniger: Die Begine ist die einzige der in den 80er Jahren gegründeten Frauenkneipen in Berlin, die es heute noch gibt.
Barbara: „Wir wünschen uns natürlich, dass aus dem, was es gerade an junger feministischer Bewegung gibt, vielleicht wieder solche Orte entstehen.
Manu: Wir werden ja schon von Touris aus den Reisebussen fotografiert. Die finden das exotisch, eine Frauenkneipe.
Anna: Ich denke, dass es in meinem Umfeld ein Bedürfnis nach Räumen gibt, in denen Menschen, die sich nicht als cis-männlich verorten, unter sich sind. Und ich habe Respekt vor dem, was ihr hier aufgebaut hab. Aber Orte, die jetzt entstehen, müssen aus meiner Perspektive mitdenken, was es an queerfeministischen Kritiken gibt. Sonst sind das nicht meine Orte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen