urdrüs wahre kolumne
: War ER das?

Dass Pippi Langstrumpf zum 100. Geburtstag von Astrid Lindgren jetzt mit einer Sonderausstellung im Lübecker Buddenbrookhaus geehrt wird, stellt eine erfreuliche Vitalisierung dieser Honoratioren-Katakombe kaufmännischen Geistes dar: Endlich lernt auch der Geist der Pfeffersäcke die meta-kommerzielle Plutimikation nach der Formel „Zwei mal drei macht vier“, die sich bei den Verständigen dieser Welt längst durchgesetzt hat...

Vom Schriftenmissionar in der Fußgängerzone erhalte ich heute ein etwas triefsinniges Malbuch mit dem Titel „Den rechten Weg finden“, verbunden mit einer Kleinpackung Buntstifte. Als ich diese harmlose Gabe wenig später im Bus an eine Fünfjährige weiterreiche, faucht mich das dazugehörige Muttertier an: „Ihre Reklame unterlassense mal gefälligst, wir glauben nichts!“ Im Ergebnis heult das Kind, ich fühle mich missverstanden und der Frau reißt der Einkaufsbeutel. War ER das?

Auf dem Wochenmarkt in meiner Heimatstadt Rinteln gibt es relativ schlichte Totensonntags-Gestecke zum Preis von nur 7 Euro. Ich kaufe drei davon für Eltern, Großmutter und eine im Nachbarort zur letzten Ruhe gebettete Tante, zahle nunmehr nur den Gesamtpreis von 20 Euro und erhalte obendrein vom Händler noch einen köpfchenhängenden Rosenstrauß mit den Worten: „Soviel Sterben – das Leben muss ja trotzdem weitergehen.“ Bis heute weiß ich niemanden, aber wirklich niemandem, dem oder der ich dieses symbolträchtige Gebinde als Valentin des Novembers übergeben möchte. War Frühling jemals ferner?

In letzter Minute gelingt es mir, mich in Hannover vor einsetzendem Starkregen in die relative Sicherheit einer Parfümerie zu begeben. Wo mich dann ein Sonnenstudio-Grillhähnchen in Blond in einer solchen Weise mit einem Herrenduft bedieselt, dass ich dem olfaktorischen Inferno nur durch eine sofortige Wende rückwärts in die vom Himmel fallenden Fluten entgehen kann. Was ermächtigt derlei Dienstpersonal zu solchen Attacken auf Leib, Leben und guten Ruf des zufälligen Flaneurs?

„Alles über das Böse“ ist von Samstag an im Bremer Überseemuseum zu sehen und in der Tat sind vom Tasmanischen Teufel bis zu Bernhard Hoetgers „Bösem Blick“ einige Aspekte des Grauens dokumentiert (Ausstellungsrezension folgt in der Montagsausgabe, die Red.). Was aber fehlt, sind die obszönen Exponate aus der Auto- und Raumfahrtindustrie, aus dem hanseatischen Waffenhandel, aus den Hartz IV-Fluren und aus den universitären Folterlaboren des Affenquälers Andreas Kreiter – da also, wo das Böse wirklich ernst macht!

Bitte laden Sie heute jeden zum Mahle, der Ihnen irgendwo La Paloma vorsingt oder spielt – empfiehlt aus einer dunklen Ahnung heraus

Ulrich „Spökenkieker“ Reineking

ULRICH REINEKING ist als Journalist, Kabarettist und Experte für das Böse beharrlich auf der Suche nach dem rechten Weg.