Von der Geschichte eingeholt

Das Presseverfahren um eine konfuse und unbeachtete E-Mail der Linkspartei wird zum Politikum und könnte für den Hamburger SPD-Spitzenkandidaten Michael Naumann zum Stolperstein werden

„Auf der BND-Aufstellung vom März 1970 stand der damals 29-Jährige noch als Redakteur der Zeitschrift „M“ (...) unter dem Decknamen „Norddorf“. Geführt wurde der angebliche ‚Zufallskontakt‘ vom Dienststellenleiter 923 Elze (...). BND-kritische Beiträge voller Detailwissen publizierte Naumann erst ein Jahrzehnt später in der Zeit, nachdem Klaus Kinkel seinen Schwiegervater, der seinen Nachfolger nicht schätzte, als Präsident in Pullach abgelöst hatte (...). Zunächst veröffentlicht er im Februar 1979 (ein Zeit-Dossier) zum DDR-Ministerium für Staatssicherheit und zitiert mehrfach BND-Mitarbeiter; dann greift er in November 1979 (...) Klaus Kinkel wegen des Zugangs israelischer Agenten zu inhaftierten Palästinensern an und nimmt sich im März 1980 die Lauschangriffe durch den BND vor (...).“ Erich Schmidt-Eenboom

VON KAI VON APPEN

Es kommt äußerst selten vor, dass sich im Zivilverfahren vor der Pressekammer des Hamburger Landgerichts während der mündlichen Verhandlungen das Blatt total wendet. Denn in der Regel sind die Fakten und Argumente bereits in den Schriftsätzen vor der Verhandlung ausgetauscht worden. Doch im Rechtsstreit des Hamburger SPD-Spitzenkandidaten, Michael Naumann, gegen den Landessprecher der Linkspartei, Horst Bethge, ist genau das eingetreten – und entwickelt sich zum Politikum. Streitpunkt sind Naumanns angebliche Beziehungen zum Bundesnachrichtendienst (BND). Nach der gestrigen Verhandlung im vollen Saal 234 des Landgerichts stellt sich Beobachtern die Frage: Wer hat Naumann im Vorwahlkampf beraten, diesen Prozess zu führen?

Im Verfahren geht es um eine E-Mail mit dem Betreff „Wer ist Naumann?“, die Bethge vor dem Hamburger SPD-Parteitag im März verfasst hatte, auf dem der Herausgeber der Wochenzeitung Zeit und Ex-Staatsminister für Kultur im Bundeskanzleramt unter Gerhard Schröder zum Bürgermeisterkandidat gekürt werden sollte. In dem elektronischen Brief, der von den Medien nicht zur Kenntnis genommen worden war, behauptete Bethge, „Naumann pflegte auch intime Beziehungen zum BND“.

So sei er nicht nur früher mit Christa Wessel, Tochter des BND-Chefs Gerhard Wessel, verheiratet gewesen, sondern sei auch vom BND als Journalist unter dem Decknamen „Norddorf“ als „informeller Mitarbeiter“ direkt vom Dienststellenleiter „923 Elze“ geführt worden. Seinen Bemerkungen fügte Bethge eine Passage aus dem Buch „Undercover – Der BND und die deutschen Journalisten“ von Erich Schmidt-Eenboom hinzu. Dieser Textauszug attestierte Naumann, 1980 für sein Zeit-Dossier „Operation Großes Ohr“, das von den Praktiken des BND handelt, über „Detailwissen“ verfügt zu haben. „Das könnte schon den Eindruck erwecken, dass Naumann für den BND tätig war“, wertete der Vorsitzende Richter Andreas Buske noch zu Beginn der Verhandlung den Sachverhalt. Gegen dieses Buch war Naumann jedoch nie gerichtlich vorgegangen. Warum nicht? Weil das Buch keine großen Wellen geschlagen hat – wie er sagt?

Die Antwort legte gestern plötzlich Bethges Anwalt Klaus Dammann in Form von Dokumenten auf den Tisch, aus denen er gegen den erbitterten Widerstand von Naumanns Anwalt Michael Nesselhauf – „das ist doch alles nur fürs Publikum“ – zitierte. Dieser Briefwechsel aus dem März 1998 zwischen Naumanns Anwalt Hans-Jürgen Groth und dem Kiepenheuer & Witsch-Verlag belegt, dass der Text von Schmidt-Eenboom autorisiert worden war. Im Briefwechsel wird erörtert, dass Naumann vom BND in der „Kategorie III“ als „Zufallskontakt“ geführt wurde und zum Kreis „ausgewählter Journalisten“ gehörte, die vom Geheimdienst das Prädikat „Presse-Sonderverbindung“ oder „Vertrauensjournalist“ erhalten hatten, sodass es „normal“ war, Material vom BND zu erhalten. 1989, 1979, 1980 hatte er demnach beruflichen Kontakt zum BND gehabt.

Dieser Briefwechsel endet mit einem Schreiben des Kiepenheuer & Witsch-Verlags an Naumanns Rechtsanwalt Groth, in dem es heißt, es sei zwar nicht der vorgeschlagene Text vollends übernommen worden, „dennoch hat der Autor alle Punkte, die von ihnen im Vorfeld genannt worden waren, in seiner Änderung berücksichtigt“. Der Verlag verweist dann noch süffisant darauf, „dass eine gerichtliche Auseinandersetzung dem Buch voraussichtlich mehr genützt als geschadet“ hätte, „was für die Person ihres Mandanten wohl nicht angenommen werden kann“.

Für Anwalt Klaus Dammann ist damit klar, dass Naumann damals den Inhalt des Textes abgesegnet hat. „Und das sind die Behauptungen, die Herr Bethge veröffentlicht hat“, sagte Dammann. „Herr Bethge hat nie behauptet, dass Herr Naumann mit Wissen und Wollen für den BND als Spitzel gearbeitet hat.“

Das wieder offene Urteil wird am 28. Dezember verkündet.