Frühe Fehler lohnen sich

Ein Kind kann vom Besuch der Kita sein ganzes Bildungsleben lang profitieren. Vorausgesetzt, dass die Pädagogen ihre Zöglinge mit den richtigen Mitteln individuell fördern. Das Deutsche Jugendinstitut hat einen Leitfaden für die Praxis erarbeitet

VON KRISTINA SIMONS

750.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sollen von 2008 bis 2013 bereitgestellt werden – so der Plan der Bundesregierung. Doch Betreuung allein reicht nicht: „Kindertagesstätten und Tagespflege sollten nicht einfach Parkplätze für den Nachwuchs sein, sondern Wegbegleiter bei der frühkindlichen Bildung und der sozialemotionalen Entwicklung“, sagt Yvonne Frankenstein vom Deutschen Jugendinstitut e. V. (DJI).

Bereits Ende der 1990er-Jahre hat die Neuseeländer Professorin Margaret Carr ein Konzept namens learning stories entwickelt. Die individuellen Lernprozesse von Kindern, die eigenen Lerngeschichten, stehen im Zentrum dieses Konzepts. Dadurch angeregt, hat sich auch das DJI intensiv mit dem Thema befasst. Drei Jahre lang testete es seine Ideen in der Praxis, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Beteiligt waren 25 Modelleinrichtungen und 120 Multiplikatoren – unter anderem Kita-Leiterinnen und freie Fortbildnerinnen. Herausgekommen ist dabei das Buch „Bildungs- und Lerngeschichten, Bildungsprozesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren und unterstützen“.

Eine zentrale Erkenntnis der Untersuchung: Gerade die Lernerfahrungen, die in der frühen Kindheit gemacht werden, prägen alle weiteren Bildungswege eines Kindes. Und nicht nur das: Auch Lerngefühle werden von früher Kindheit an mit gelernt. Deshalb ist es ganz entscheidend, dass Kinder von Anfang an das Gefühl haben, fähige und selbstsichere Lernende zu sein, experimentieren und auch Fehler machen zu können. Es geht nicht darum, passiv empfangenden Kindern Wissen, Normen und Werte zu vermitteln. Das Augenmerk liegt auf Eigeninitiative und Eigenaktivität der Kinder bei ihren Lernprozessen, auf ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen. Die Lernfortschritte werden von den Erzieherinnen beobachtet und dokumentiert. Diese Lerngeschichten sollen auch dem Kind zeigen, wie erfolgreich es gelernt hat.

Kern der „Bildungs- und Lerngeschichten“ sind deshalb die individuellen Lerndispositionen eines Kindes. Damit sind Strategien gemeint, mit denen ein Kind auf die ständig auftretenden Lernmöglichkeiten reagiert. Wofür interessieren oder engagieren sie sich, können sie sich mitteilen, können sie mit anderen Kindern gemeinschaftlich etwas lernen? Wichtig sind die Interessen und Fähigkeiten des Kindes und die Rahmenbedingungen, die einem Kind erst ein bestimmtes Handeln möglich machen. Die „Bildungs- und Lerngeschichten“ setzen ganz auf die individuellen Interessen und Kompetenzen der Kinder.

Wichtig ist dabei auch der Austausch zwischen pädagogischen Fachkräften, Kindern und Eltern über die einzelnen Lerngeschichten. Denn das vermittelt den Kindern das Gefühl, dass ihr Lernen und ihre Lernmotivation wertgeschätzt und unterstützt werden. Laut DJI sind die „Bildungs- und Lerngeschichten“ ein guter Weg, um auch mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, die sonst schwer für eine Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen zu gewinnen sind. „Gerade bildungsferne Eltern haben großes Interesse gezeigt“, so Frankenstein. Das ist umso wichtiger, als eine gute frühkindliche Bildung hilft, auf sozialer Herkunft beruhende Benachteiligungen von Kindern zu mindern.

Fortbildnerinnen, Fachberater, Kita-Leiterinnen und pädagogische Fachkräfte können die „Bildungs- und Lerngeschichten“ als Informationsquelle und Hilfsmittel nutzen. Anhand von acht flexibel einsetzbaren Modulen können die Grundlagen des Bildungs- und Lernverfahrens erarbeitet und durch praktische Übungen und Reflexionen vertieft werden. Eine beiliegende CD-ROM mit Arbeitsmaterialien ermöglicht den schnellen Einstieg in die Arbeit, eine DVD mit Videosequenzen veranschaulicht im Text beschriebene Bildungs- und Lernprozesse einzelner Kindern.

Kindertageseinrichtungen sind für Kinder der erste Bildungsort außerhalb der Familie und deshalb von besonderer Bedeutung. „Wenn diese wertvolle Zeit im Sinne der Kinder gut genutzt sein soll, müssen nicht nur die Rahmenbedingungen stimmen“, so Frankenstein. „Auch die Menschen, die sich um die Kleinsten kümmern, müssen auf diese verantwortungsvolle Aufgabe ausreichend vorbereitet sein. In unserem Bildungssystem gilt jedoch häufig: Je jünger die Kinder, desto geringer die Qualifikation des Personals.“ Genau hier setzt auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen an: „Je jünger das Kind, desto besser muss die Qualität der Erziehung sein.“

In einer bereits begonnenen zweiten Projektphase werden die Förderinstrumente für Horte, Tagespflege, den Übergang von Kita zur Grundschule und die Betreuung von Kindern mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung weiterentwickelt.

Die „Bildungs- und Lerngeschichten“ kosten 24,90 Euro. Bezug: verlag das netz, Tel. (0 30) 48 09 65 36, www.verlagdasnetz.de