Dirk Michaelis und Tim Bendzko zeigen jeweils generationell angepasst einen hohen Anhimmelfaktor

Für den Einstieg ein Hinweis an die jüngeren Menschen unter den Lesern. Übrigens besitzt der Hinweis auch für die älteren Leser, zumindest wenn sie aus dem Osten stammen, einen nicht unerheblichen Informationswert. Der Hinweis geht so: Dirk Michaelis war früher ziemlich genau das, was Tim Bendzko heute ist. Nämlich: ein junger, verdammt gut aussehender Sänger, der so verträumt gucken und so sanft singen kann, dass er Angst haben muss, in zerflossenenen Frauenherzen zu ertrinken.

Mittlerweile sind die Haare ergraut, aber Dirk Michaelis sieht immer noch unverschämt gut aus, wie er so von dem Cover seiner neuen CD „Dirk Michaelis singt …“ guckt. Sogar fast besser als damals, als er bei Karussell „Als ich fortging“ sang, jenes Liebeslied, das mit seinem Erscheinen 1987 von der halben DDR als methaphernreiche Anspielung auf die gewaltige Ausreisewelle verstanden wurde. Die andere Hälfte war in der Partei. Damals hätte Michaelis erst gar nicht versuchen können, was er nun in die Tat umgesetzt hat. Der Berliner hat sich einen Jugendtraum erfüllt, den Sänger gern mit sich herumschleppen: Er hat einige seiner englischen Lieblingssongs von Gisela Steineckert und Michael Sellin übersetzen lassen und eingesungen. Vor der Wende wäre da die Kulturverwaltung eingeschritten. Weniger aus ideologischen Gründen, sondern weil sich die DDR aus Devisenmangel die Tantiemen nicht hätte leisten wollen. Nun aber ist es soweit, aus Cyndi Laupers „Time After Time“ wird endlich „Zeit heilt die Zeit“, „Mad World“ von Tears For Fears heißt bei Michaelis „Seltsam“ und das „Fields of Gold“ von Sting wird so wörtlich zum „Feld aus Gold“ wie U2s „One“ zu „Eins“. Dass der 1961 in Karl-Marx-Stadt geborene Michaelis auch in den letzten Jahren Radio gehört hat, beweist er mit „So wunderschön bist du“ (James Blunts Jahrhundertschnulze „You’re Beautiful“) und „Lieb mich“ (Razorlights „Wire To Wire“). Die Übersetzungen sind einfühlsam und die Arrangements ziemlich kuschelig. Michaelis macht aus nahezu jedem Song eine nette Ballade, also ziemlich genau das, was die Originale verdient haben, und singt die dann mit seiner unschlagbaren Süßholzraspelstimme.

Die hat Tim Bendzko noch nicht, die mag mit dem Alter noch kommen. Gelungen ist ihm trotz seiner Jugend aber bereits, was bislang nur Pierre Baigorry geschafft hat, dafür aber gleich zwei Mal mit Seeed und als Peter Fox: für Berlin Stefan Raabs Bundesvision Song Contest zu gewinnen. Bendzko aber hat mit dem als Star ziemlich ungeeigneten Baigorry aber entschieden weniger gemein als mit einem Dirk Michaelis, nämlich den umwerfenden Hundeblick und vor allem die Qualitäten als Sensibilitätsdarsteller, um die weibliche Hälfte des Poppublikums anzusprechen. Sein Debüt „Wenn Worte meine Sprache wären“ ist deshalb und verdient bis auf Platz vier der Charts geklettert, ohne durch allzu große Anbiederung an den Massengeschmack aufzufallen. Aber Bendzko ist momentan nur der sichtbarste einer ganzen Reihe junger, Hoffnung machender Liedermacher, also ungefähr das, was Michaelis einmal war. THOMAS WINKLER

■ Dirk Michaelis: „Dirk Michaelis singt …“ (Heart of Berlin/Universal), live 26. 11. Admiralspalast, 2. 12. Wabe

■ Tim Bendzko: „Wenn Worte meine Sprache wären“ (Columbia/Sony), live am 23. 11. im Lido