Das Böse, ein Leichtgewicht

Das Bremer Überseemuseum will mit der Ausstellung „All about Evil“ die „metaphysische Seite“ des Bösen zeigen. Satanismus, Auschwitz oder Bushs „Achse des Bösen“ kommen dabei allerdings nicht vor. Und auch wie das Gute mit dem Bösen zusammenhängt, erfährt man nicht

Die Erklärungstafeln sind von züngelnden Flammen eingefasst, der Eingang ist wie ein Fledermausmaul gestaltet

von EIKEN BRUHN

Nichts weniger als „Das Böse“ will eine Ausstellung im Bremer Überseemuseum zeigen. Doch wie so oft sind die Ausstellungsmacher nicht mutig genug, begnügen sich damit, Objekte in Glaskästen zu stellen und sie thematisch zu sortieren. „Der Ursprung des Bösen“, „Das Gesicht des Bösen“, „Der Umgang mit dem Bösen“, hat die Kuratorin Silke Seybold die einzelnen „Kapitel“ genannt, doch worum es eigentlich geht, verrät sie nicht. Eine Definition des Bösen wolle man nicht geben, sagt Seybold, sondern stattdessen gucken, „was es in der jeweiligen Gesellschaft“ ist.

Man sucht also etwas, von dem man nicht weiß, was es ist und muss zwangsläufig munter drauf los assoziieren. Teufel, Hexen, Tod, Grausamkeit, das Fremde (aus dem All), Verängstigendes, Dämonen, die Todsünden, die Hölle und andere Unterwelten – das alles ist offenbar irgendwie „böse“. Entsprechend wenig Überraschungen und damit tiefere Erkenntnis bieten die Exponate. Es sei denn, man stolpert zum ersten Mal über die Einsicht, dass Menschen im Laufe der vergangenen Jahrhunderte verschiedene Tierarten zu „Symbolen des Bösen“ erklärt haben. Für Kinder – das Museum hält die Ausstellung ab zehn Jahren für geeignet – mag die Sammlung ausgestopfter Tiere also ganz interessant sein. Sie erfahren dort, dass selbst so harmlose Tierchen wie die Amsel oder das Eichhörnchen etwas Bösartiges in sich haben sollen. Wer die Botschaft dennoch nicht verstanden hat, bekommt sie ganz am Ende der Ausstellung noch einmal schwarz auf weiß mit einem Hamlet-Zitat: „An sich ist nichts weder gut noch böse. Das Denken macht es erst dazu.“

Interessant hätte der Blick in andere Kulturen werden können, für den das Überseemuseum mit seinen Sammlungen von Kulturerzeugnissen aus aller Welt geradezu prädestiniert ist. Schließlich sei die Teilung einer Welt in Gut und Böse, wie sie westliche Kulturen vornehmen, in anderen Kulturen so gar nicht vorhanden, hat Seybold festgestellt. „Gut und böse gehören hier zu einem Ganzen.“ Doch die Frage, die sich hier aufdrängt, was nämlich bleibt vom „Bösen“, wenn gut und böse eins sind, ein Gott sowohl Leben schaffen als auch nehmen kann, wird weder gestellt noch beantwortet.

Immerhin wirft eine Tafel das Problem auf, wie innerhalb der christlichen Logik Gott gut sein kann, wenn es gleichzeitig das Böse in seiner Schöpfung gibt. Und wie kann der Tod böse sein, wenn er für manche die Eintrittskarte ins Paradies bedeutet? Ist das Böse vielleicht manchmal gar das Gute? Eine Möglichkeit wäre hier gewesen, ein größeres Gewicht auf die Vorstellung der meist weiblichen Verführerin und Anstifterin zum Bösen zu legen. Doch mehr als ein paar Puppen und Bilder der schönen, aber bösen Frau gibt es nicht. Wer oder was macht sie böse? Sind es ihre Handlungen? Ihre Essenz? Oder gar ihre Wirkung?

Enttäuscht wird auch, wer den Untertitel „All about evil“ der Schau, deren Konzept vom Tropenmuseum in Amsterdam übernommen und ergänzt wurde, ernst genommen hat. Ganz ausdrücklich soll gar nicht „alles über das Böse“ gezeigt werden, wie die Kuratorin Seybold sagt, sondern nur dessen „metaphysische“ Seite. Die erlebbaren und ertragenen Erscheinungsformen des Bösen blieben bewusst außen vor, sonst würde „die Ausstellung zu schwer“, sagt Seybold. Für eine „ernsthafte Auseinandersetzung“ solle man doch lieber zu den Veranstaltungen des Begleitprogramms kommen. Doch auch dort fehlt jede Spur von Satanismus, Auschwitz oder Bushs „Achse des Bösen“. Es bleibt bei den bunten Bildern des Bösen, beim kulturellen Umgang mit ihm.

Mit dieser Reduzierung verkommt das Böse zu reinem Hokuspokus. Da steht eine Darth Vader-Figur herum, es finden sich ein Brotaufstrich namens „Hölle“ und zwischendurch die Fratzen von Todesgöttern. Das ist problematisch, weil die Ausstellungsmacherin eigentlich zeigen will, wie sich der Umgang mit dem Bösen verändert hat, dass man in unserer Kultur, unserer Zeit Witze darüber machen darf: „Das Böse hat sein Image gewechselt, es ist sexy geworden.“

Doch bereits die Aufmachung der Ausstellung ist ein Witz, ist Teil dieses neuen, vordergründig sorglosen Umgangs. Die Erklärungstafeln und Überschriften sind von züngelnden Flammen eingefasst oder bestehen gar aus ihnen, der Eingang ist wie ein Fledermausmaul gestaltet, die Zunge schlängelt sich auf dem Fußboden Richtung Ausgang. Zum Fürchten ist das nicht, viel schlimmer, es ist zum Schmunzeln.

Überhaupt ist das Böse kaum zu spüren. Einzig eine aus Japan stammende Figur eines Todesgottes verursacht ein unangenehmes Gefühl. Sein stechender Blick und sein selbstgefälliger Bauch würden sie an einen bestimmten Typ Lehrer erinnern, brachte es eine Besucherin auf den Punkt. Die wenigsten Erwachsenen werden hingegen die Karnevals-Masken als gruselig empfinden, auch die Ausschnitte aus Horrorfilmen sind zu kurz für Gruselschauer. Dabei hätten gerade Letztere den Zugang erleichtern können zu der Frage, warum es die Lust am Bösen und seiner Darstellung gibt.

Am interessantesten ist der letzte Raum. Dort sind zum einen Karikaturen zu sehen, die die „Dämonisierung des Feindes“ zeigen sollen: Nixon, Hitler, der Papst, der Schah von Persien und – nein, Bush ist hier mal als Guter zu sehen, „als Heiliger Georg gegen den irakischen Drachen“. Zum anderen sind Kultobjekte von Gothics, oder wie man in den 80ern sagen durfte, „Grufties“ zu besichtigen. Friedhofsfotos zieren Plattencover, Totenköpfe sind in eine kleine Holzkisten geschnitzt, ein Szeneblatt heißt „Drop Dead“. Alles, was in den Räumen zuvor als „böse“ galt, ist hier offenbar als „gut“ konnotiert. Was war doch gleich das Böse? Warum können sich die meisten ungefähr auf eine Definition einigen? Eine Idee hängt im Raum – und fällt herunter. Marilyn Manson darf noch danach fragen, warum er als Musiker als „bad guy“ gilt, wenn der US-amerikanische Präsident „in Übersee massenhaft Bomben“ abwirft, und das war’s dann mit dem Bösen. Das ist zu banal für etwas, was Menschen von klein auf bewegt.

Bis 18. Mai 2008, Überseemuseum, Bahnhofsplatz 13. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 18 Uhr