LÜGENPRESSE: Afterhour mit Leserin
Das mit der Lügenpresse ist schon sehr vertrackt. Wenn man sich nur noch darauf verlassen kann, was man sich selbst zusammenspinnt, was soll man dann noch glauben? Die eigenen Gedanken sind ja meist auch sehr verwirrend, gerade nach einer durchfeierten Nacht.
Trotzdem liegt ein Stapel Zeitungen auf dem Küchentisch. Es ist Sonntag und wir sind nicht auf irgendeiner Afterhour gelandet, sondern haben uns ausnahmsweise für ein gemeinsames Frühstück entschieden. Nicht dass ich zig Abonnements hätte oder mich besonders für Sonntagsbeilagen interessieren würde, der Grund der Zeitungsflut ist wesentlich profaner: Das ist gar nicht meine Küche, geschweige denn mein Esstisch. „Kaufst du all diese Zeitungen?“, frage ich.
Sie nickt beiläufig und steckt die zierliche Nase noch tiefer in einen Artikel über Problematiken, die entstehen, wenn Expartner noch Kontakt zum eigenen Freundeskreis haben. Scheint sehr spannend zu sein, offensichtlich ist das Thema für sie von besonderer Bedeutung. Ich komme mir vor wie so eine alternde Bankiersgattin, die am Frühstückstisch links liegen gelassen wird.
Plötzlich finde ich die Vorstellung, in irgendeinem versifften Schuppen zu eintönigen Beats herumzuzappeln, sehr verlockend. Jetzt muss ein Streit her, um die Monotonie zu durchbrechen. „Lügenpresse!“, sage ich beiläufig und stehe vom Tisch auf. Sie lacht. Der Begriff scheint humoristisch konditioniert zu sein, da muss etwas Persönlicheres her, mit ausgelutschten Stammtischparolen lockt man anscheinend keine aufgeklärte Mittzwanzigerin mehr hinter dem Ofen hervor.
„Weißt du, was du bist?“, frage ich und stehe auf. „Eine Lügenleserin. Eine ganz gemeine Lügenleserin.“
Fassungslosigkeit. Endlich hab ich meine verdiente Aufmerksamkeit. JURI STERNBURG
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