Mach mir eine schöne Toccata daraus

SPHÄRENKLANG Für den italienischen Komponisten Giacinto Scelsi: Tagung und Klavierkonzert in der Friedenauer Friedenskirche

Statt einer Unterschrift zeichnete er gern einen Kreis mit einem Strich darunter. Nach seinem 50. Lebensjahr durfte ihn niemand mehr fotografieren. Er trug oft pelzgefütterte Ledermäntel, weil er leicht fror. Für seine Kompositionen beschäftigte er mitunter Ghostwriter und sagte von sich selbst, er sei bloß ein Filter, dem die Musik eingegeben werde: Giacinto Scelsi hat sich mit seinem eigenwilligen Auftreten gern als Außenseiter präsentiert.

Auch seine Klaviermusik, die am Samstag im schmucklosen Gemeindesaal der methodistischen Friedenauer Friedenskirche zu hören war, kümmerte sich wenig um die Gepflogenheiten der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Scelsi, der 1905 in eine reiche italienische Adelsfamilie geboren wurde, erhielt privaten Kompositionsunterricht und entwickelte in den fünfziger Jahren eine Tonsprache, die mit ihrem Kreisen um einzelne Töne und ihren ausdifferenzierten Klängen mehr den östlich-asiatischen Traditionen entsprungen zu sein scheint als der westlichen Atonalität mit ihrer überlieferten Basis aus zwölf Tönen.

An die ungewöhnlichen Entstehungsbedingungen von Scelsis Werk erinnerte vor dem Konzert die Musikwissenschaftlerin Alessandra Carlotta Pellegrini von der Isabella Scelsi-Stiftung Rom. So sei es unter anderem der Unterstützung des deutschen Musikwissenschaftlers Heinz-Klaus Metzger zu verdanken gewesen, dass Scelsis Werk überhaupt veröffentlicht und aufgeführt wurde. Auch hat er nicht im herkömmlichen Sinne komponiert, sondern meistens am Klavier improvisiert, seine Ideen auf Tonband notiert und später zusammengeschnitten. Die Ergebnisse ließ er anschließend von anderen Komponisten transkribieren.

Zum Klavier gesellte sich in den fünfziger Jahren die Ondioline hinzu, ein Vorläufer des Synthesizers, mit dem man auch Töne „zwischen den schwarzen und weißen Tasten“ spielen konnte. Auf diesem Wege fand Scelsi zu seinem mikrotonalen und „sphärisch“ farbigen Stil, wie er in seinen Streichquartetten und Orchesterwerken zu hören ist.

Im Klavierkonzert, das der italienische Pianist Alessandro Stella gab, kam Scelsis spätere Phase allerdings nur am Rande vor: Lediglich seine „Quattro illustrazioni sulle metamorfosi di Vishnu“ aus dem Jahr 1953 arbeiteten mit dem Umkreisen einzelner Töne und Ostinato-Figuren. Der Großteil des Programms bestand aus Scelsis Frühwerk, darunter das lautmalerische „Rotativa“ (1930), zu Deutsch „Zeitungspresse“, dessen kreisende Mechanik mit überdreht hämmernden Akkorden nachempfunden wurde.

Von den unveröffentlichten Werken war die „Toccata“ aus den vierziger Jahren insofern bemerkenswert, als Scelsi dieses Werk bei seinem ehemaligen Kompositionslehrer Walter Klein in Auftrag gab: Scelsi schickte Klein aus dem Sanatorium ein paar Arpeggien mit der Bitte, ihm aus diesen Tonfolgen „eine schöne Toccata“ zu machen. Im Vergleich zu Scelsis früheren Werken mit ihrem spätromantischen Gestus fiel das Resultat deutlich zurückgenommener aus.

Scelsis Werke seien schwierig zu spielen, hatte die Präsidentin der Isabella-Scelsi-Stiftung, Irmela Heimbächer, eingangs in ihrem Grußwort bemerkt. Ein Ziel der Stiftung sei daher, jungen Interpreten den Weg zu Scelsis Werk zu erleichtern. Bei Alessandro Stella ist der Zugang allemal gelungen, in den virtuosen Passagen ebenso wie in stilleren Momenten – Letzteres besonders schön im unveröffentlichten „Un adieu“, dessen zart-getragene freitonale Akkorde an ein Gebet oder Wiegenlied denken ließen. Bleibt nur zu hoffen, dass es von Scelsi in Zukunft wieder mehr zu hören gibt.

TIM CASPAR BOEHME