Exzellente Sozialwissenschaften

UNICOM Die Bremer Universität hat nicht nur in den Natur- und Ingenieurwissenschaften exzellente Forschung zu bieten – und hofft nun auf die große Anerkennung

Im „unicom“ soll das neue „Haus der Sozialwissenschaften“ entstehen

von KLAUS WOLSCHNER

Die Universität Bremen hat nicht nur hervorragende Ingenieur- und Naturwissenschaftler, nicht nur Spezialisten für Material- und Meereswissenschaften, sondern auch Sozialwissenschaftler. Und dies seit Anbeginn – 40 Jahre sozialwissenschaftlicher Forschung feierten gestern die Institute ZeS, InIIS, EMPAS und der Sonderforschungbereich „Staatlichkeit im Wandel“. Ort der Feier war das „unicom“, ein Bürogebäude im hinteren Bereich des Technologieparks. Dort, so verkündete Uni-Rektor Wilfried Müller, soll die sozialwissenschaftliche Forschung konzentriert werden, „Haus der Sozialwissenschaften“ heißen. Die Universität übernehme immer mehr Flächen, die für Firmen gebaut worden sind, freute er sich – ein Zeichen für Wachstum. Ein großer Teil der Stellen dieser Institute – im „unicom“ sollen dann mehr als 200 Sozialwissenschaftler arbeiten – sind über Drittmittel finanziert.

Am Anfang der Bremer Sozialwissenschaften, so berichtete Müller, stand 1971 der Kooperationsvertrag zwischen Arbeiterkammer und Universität. „Wissenschaft für Arbeiter“ war damals der Anspruch, es wurden Industriesoziologen wie Michael Schumann und Siegfried Braun nach Bremen geholt, die übrigens die ersten Forschungsprojekte mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durchführten. Offiziell aufgenommen und damit anerkannt wurde die Bremer Uni von der DFG erst 1976. Und dann kam 1988 der große Durchbruch – der erste von der DFG finanzierte „Sonderforschungsbereich“ unter dem Titel „Sozialer Wandel und die Modernisierung des Lebenslaufs“. Schon vorher hatten Sozialwissenschaftler die „Grauzonen“ des Arbeitsmarktes – prekäre Beschäftigungsverhältnisse – untersucht und sich von der Fixierung auf „Normalarbeitsverhältnisse“ verabschiedet. Der Sonderforschungsbereich war verbunden mit dem „Zentrum für europäische Sozialpolitik“ (ZeS), das übrigens wie so manche Innovation durch eine Anschubfinanzierung der VW-Stiftung gegründet worden war.

Wenn es im ersten Halbjahr 2012 darum geht, ob die Bremer Universität als „Exzellenz-Universität“ anerkannt wird, damit internationalen Ruf erwerben und ihre staatliche Grundfinanzierung (rund 160 Millionen Euro im Jahr) fünf Jahre lang mit jeweils 11 Millionen Euro aufstocken kann, dann spielen wieder die Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle: Ihre Graduierten-Schule ist neben „Marum“ das zweite Standbein der Bremer Bewerbung.

Den Festvortrag zur 40-Jahres-Feier hielt Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum für Sozialpolitik in Berlin. Er blickt auf „elf glückliche Jahre in Bremen“ am ZeS zurück. Sein Thema war die Frage, wie sich Legitimationsprozesse von Herrschaft verändern. Insbesondere auch in Deutschland sind das in keiner Weise nur demokratische Prozeduren. In den letzten Jahren spielen unabhängige Expertise und Institutionen, die sich auf Rechtsprinzipien stützen, wie etwa das Bundesverfassungsgericht oder Experten-Wissen eine immer größere Rolle. Und natürlich die Partizipationschancen der Betroffenen, die ihre Legitimation neben den Pfaden parlamentarischer Repräsentation entfalten. Auch die politischen Machthaber entfernen sich in komplizierten Situationen – wie die europäische Finanzkrise zeigt – ebenfalls von den Legitimationsmustern der parlamentarischen Demokratie. Dass Erfolg, besonders Wohlstandserfolg, auch eine demokratisch keineswegs verankerte Herrschaftsform legitimieren kann, zeigt für Zürn das Beispiel China.

Solche Kernfragen der Demokratie werden auch im aktuellen Bremer DFG-finanzierten Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“ untersucht. Rund 200 Sozialwissenschaftler feierten gestern im „unicom ihre 40-jährige Tradition. Stefan Leibfried, der einen erheblichen Anteil daran hat, präsentierte einen 500 Seiten starken Bildband, der diese Geschichte als Familienalbum vorgestellt.