Eigene Regeln für den Petzer

DAILY DOPE (693) Eine Kommission des Radsportweltverbands fördert bei der Aufarbeitung der Dopingvergangenheit wenig Neues zutage

VON TOM MUSTROPH

Es wird weiter gedopt, wenn auch nicht mehr unbedingt von den Teams selbst organisiert. Wenn man dem am Montag vorgestellten Bericht der Unabhängigen Reformkommission der UCI (CIRC) folgt, muss der in jüngster Zeit immer wieder beschworene Neuanfang im Radsport also mit der gebotenen Vorsicht betrachtet werden. Zuvorderst geht es in dem Report aber um die Vergangenheit. Genauer: um die Mängel des Antidopingkampfes der UCI in den letzten 15 Jahren. Kritisiert wird dabei auch das Management des früheren UCI-Präsidenten Pat McQuaid sowie den Versuch von dessen Gegenspieler Igor Makarov, den Machenschaften des Iren, vor allem den Kungeleien mit Lance Armstrong, durch verdeckte Ermittler auf die Spur zu kommen. Aufklärung ja, aber bloß nicht zu tief! Das scheint die Botschaft der Kommission gewesen zu sein, die vom Schweizer Politiker Dick Marty geleitet wurde. Unterstützt wurde er vom deutsche Juristen Ulrich Haas und dem australischen Strafverfolger Peter Nicholson.

Ein Jahr Arbeit hat die Kommission in die Aufklärung der Dopingvergangenheit des Radsports von 1998 bis 2013 gesteckt. 135 Interviewpartner listet sie in dem 227-Seiten-Bericht auf. Darunter sind überraschend wenige Profis und Exprofis – nur 16, darunter neben Armstrong auch Jörg Jaksche und, Überraschung: Dietrich Thurau, der bereits 1989 seine Karriere beendete. Lediglich ein einziger Mediziner wurde befragt. Das verwundert, geht die CIRC in ihrem Bericht doch von mindestens 69 Ärzten aus, die in 15 Jahren organisiertem Doping im Radsport als Komplizen tätig waren. Stärker vertreten waren Mitarbeiter und Exmitarbeiter der UCI (29), Vertreter von Sportverbänden (23) und Vertreter der Antidopingorganisationen (25). Die Kommission recherchierte also vor allem in der Welt der Sportbürokratie.

Auch wegen dieser Zeugenauswahl bringt die historische Aufarbeitung des Dopingproblems wenig Neues. Immerhin wird die Vorzugsbehandlung von Lance Armstrong durch die UCI näher betrachtet. 1999 profitierte er auch nach Meinung der CIRC von der nachträglichen Einreichung eines Attests auf Kortison; mehrere positive Proben bei der Tour de France 1999 wurden so beseitigt. „Die UCI brach in diesem Fall ihre eigenen Antidopingregeln“, stellt der Bericht fest. Nicht bestätigen wollte die Kommission eine Vertuschung einer positiven Epo-Probe Armstrongs bei der Tour de Suisse 2001. Die Werte hätten unter der festgelegten 80-Prozent-Schwelle gelegen. Die Probe war zwar verdächtig, aber nicht positiv. Dennoch kritisierte die CIRC, dass Armstrong detailliert über diese verdächtigen Werte informiert wurde. Einen kausalen Zusammenhang mit Spenden Armstrongs an die UCI wollte sie hingegen nicht sehen. Deutlich kritisierte sie aber das Entgegenkommen der UCI bei Armstrongs Comeback. Der Amerikaner konnte vor Ablauf der festgelegten Testzeit von sechs Monaten an der Tour Down Under teilnehmen. Im Gegenzug startete er an der vom Bruder des damaligen UCI-Präsidenten organisierten Tour of Ireland, was dem drittklassigen Rennen große Resonanz bescherte. „Die UCI verletzte hier ihre eigenen Regeln und beschädigte ihr Image, indem sie die Botschaft aussendete, die Regeln würden nicht für alle gelten“, hält die Kommission fest.

Sie berichtet sogar, wie Armstrong einst versuchte, vom Antidopingkampf zu profitieren. „Vor der Tour 2003 und auch 2009 warnte Armstrong die UCI vor den Gefahren von künstlichem Hämoglobin und Aicar im Peloton. Einige Fahrer zeigten bei der Dauphine-Rundfahrt unglaubliche Leistungen und Armstrong fühlte sich bedroht“, heißt es in dem Report. Der Systemdoper war also ein Petzer. Der CIRC-Bericht weist ebenfalls auf aktuelle Gepflogenheiten hin: „Fahrer sind zu Mikrodosierungen von Epo und geringeren Bluttransfusionen übergegangen. Statt 500 ml empfehlen Doktoren jetzt 150 bis 200 ml.“ Wegen des Testverbots in der Nacht wüssten Fahrer, dass sie sich am Abend ohne Sorge Epo spritzen könnten. Die Kommission regte eine Aufhebung der nächtlichen Testsperre an und empfahl eine Veränderung der Vergabe der Therapeutischen Aussagegenehmigungen. Grund: „Eine Quelle sagte uns, dass 90 Prozent der Ausnahmegenehmigungen allein fürs Doping genutzt werden.“

Dennoch ist die Kommission von einer Klimaverbesserung überzeugt. Der Leistungsvorteil durch Doping sei von „10 bis 15 Prozent in den Hochzeiten auf jetzt etwa 3 bis 5 Prozent zurückgedrängt“ worden. Fahrer könnten daher „wieder an eine saubere Karriere glauben“.

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