Der Wahnsinn der industrialisierten Landwirtschaft

Alles wirkt so unentfremdet, präzise, einleuchtend, meditativ: Erich Langjahrs Film „Das Erbe der Bergler“ über traditionelle Schweizer Bergbauern

Seit dreißig Jahren dreht der Schweizer Dokumentarist Erich Langjahr seine Filme. Der Regisseur, der als Autodidakt begann, arbeitet mit den Mitteln des Cinéma direct, verzichtet also auf jede Effekthascherei, spart sich den eigenen Kommentar und nimmt sich viel Zeit für die Entwicklung seiner oft im ländlichen Bereich angesiedelten Stoffe.

Seine letzten, teils preisgekrönten Filme „Sennen-Ballade“ (1996), „Bauernkrieg“ (1998), „Hirtenreise ins dritten Jahrtausend“ (2002), die allesamt auch auf dem Internationalen Dokumentarfilmfest in Leipzig zu sehen waren, beschreiben vom Aussterben bedrohte bäuerliche Produktionsweisen und – teils auch kämpferisch – den Wahnsinn der industrialisierten Landwirtschaft. In „Das Erbe der Bergler“, seinem neuesten Film, an dem Langjahr vier Jahre lang arbeitete, begleitet er die letzten Wildheuer im Muotal im Kanton Schwyz auf ihren Wegen.

Jedes Jahr am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, steigen sie hinauf in die steilen Planggen des „Hinteren Heubrig“, um die Wildheuernte einzubringen, so wie es schon die Väter und Großväter taten. Während die Ahnen jedoch das Gras an den steilen Hängen hoher Berge aus existenzieller Not mähten, tun es ihre Nachfahren sozusagen im Nebenberuf; hauptberuflich arbeiten sie längst schon was anderes. Waren es vor hundert Jahren bis zu sechzig Wildheuer, so sind es heute nur noch acht. Ökonomisch macht ihre Arbeit nicht mehr so viel Sinn, ökologisch aber durchaus: Das Mähen festigt die alpine Humusschicht, verhindert Bodenerosion und Felsstürze.

Kommentarlos beobachtet Langjahr die verschiedenen Arbeitsschritte, die gegangen werden müssen. Ohne dass es je langweilig würde, zeigt er fast zwanzig Minuten lang, wie ein Paar der für die Arbeit am Hang unentbehrlichen Griff-Holzschuhe gefertigt werden: vom Anpassen und Aussägen des Holzfußbettes bis zum Schmieden und Anbringen der Eisengriffe. Gemächliche Minuten begleitet er die Wildheuer beim Aufstieg. Die Bilder sind umso schöner, als dass sie aus der Perspektive der Menschen gemacht sind. Im Gegensatz zu anderen Bergfilmern verzichtet Langjahr auf imposante Hubschrauberaufnahmen und wartet auch nicht auf wolkenlose Tage für seine Bergbilder.

Manchmal wundert man sich fast, dass der Film nie langweilig ist, obgleich häufig minutenlang niemand etwas sagt und keine Musik die Stille ausfüllt. Ach was, es gibt ja die Geräusche der Natur,Vogelrufe zum Beispiel. Und die Geräusche der Arbeit: wie die Sense das Gras durchschneidet, dann wieder geschärft wird; wie die Heuballen eine Art Seilbahn heruntergleiten und aufschlagen; wie die Männer ein bisschen keuchend Schlitten mit Heuballen drauf ins Tal herunterziehen. Doch diese Geräusche sind so sehr Teil des Geschehens, dass man sie kaum bemerkt.

Man schaut den Wildheuern bei ihrer Arbeit zu und beneidet sie fast, weil alles so unentfremdet, präzise, einleuchtend, fast meditativ wirkt. Gleichzeitig ist diese Arbeit in all ihren Schritten auch die ehrende Aufführung einer Tätigkeit, die früher nur ökonomisch notwendig war.

Manchmal hat man den Eindruck, es ginge den Wildheuern bei ihrer Arbeit und bei ihren Festen immer auch darum, diesen traditionellen Tätigkeiten ein ehrendes Andenken zu setzen. In der Eingangsszene des Films hatte man einem alten Wildheuer bei der Ameisenbeobachtung zugeguckt. Aus deren Verhalten ließen sich Rückschlüsse für das kommende Wetter ziehen, erklärt er. In der Schlussszene sieht man Jugendliche, wohl die Kinder der Wildheuer, aus einer Garage auf Rollerskates und Mountainbikes ausschwärmen. Das Haus, aus dem sie kommen, sieht unglaublich proper aus; die Straße, auf der sie dahingleiten, ist so sauber, dass es fast bedrohlich wirkt.

DETLEF KUHLBRODT