KOLUMBIEN: ES IST GUT, WENN SARKOZY UND CHÁVEZ DEN GEISELN HELFEN
: Pariser Ablenkungsmanöver

Das weitgehende Desinteresse der Weltöffentlichkeit am Schicksal der franko-kolumbianischen Politikerin Ingrid Betencourt sowie Dutzender anderer Geiseln in Kolumbien ist ein Skandal. Im Falle von Betencourt dauert er seit ihrer Entführung während des kolumbianischen Wahlkampfs im Februar 2002 an. Vor diesem Hintergrund ist es uneingeschränkt zu begrüßen, dass gestern in Paris Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zusammen mit seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez einen Zeitplan und ein paar konkrete Schritte für die Befreiung von zumindest einigen Geiseln in Kolumbien besprochen hat.

Diese Internationalisierung des Themas gibt immerhin Anlass zu etwas Hoffnung – auch wenn die beiden Spitzenpolitiker Hintergedanken haben, die weit von dem Schicksal der Geiseln entfernt sind: Der Venezolaner Chávez, der aus Teheran in Paris angereist ist, will internationales Verhandlungsgeschick beweisen und aus der Isolation seiner Allianzen mit den Geächteten dieser Welt ausbrechen. Der französische Realpolitiker Sarkozy will erneut seine bereits in Libyen und dem Tschad vorgeführten Künste als Geiselbefreier unter Beweis stellen. Und zudem möchte er natürlich seine Kontakte in einer erdölreichen Region verbessern.

Aus französischer Sicht ist zugleich ein anderer Aspekt des Auftretens von Nicolas Sarkozy unverkennbar. Der Staatspräsident hat zum zweiten Mal einen großen nationalen Streik gewählt, um die Schlagzeilen in eine andere Richtung zu lenken: Beim Streik am 18. Oktober machte Sarkozy seine zuvor geheim gehaltene Scheidung bekannt. Nun hat Sarkozy den bisher größten Streiktag seiner Präsidentschaft gewählt, um sich für die in Frankreich populäre Betencourt öffentlichkeitswirksam einzusetzen.

Es ist kein Zeichen von Stärke, wenn Sarkozy sich am siebten Tag des EisenbahnerInnenstreiks und dem ersten des BeamtInnenstreiks auf eine Geiselbefreiung in Lateinamerika konzentriert. Es ist ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver.

DOROTHEA HAHN