CDU gibt die Noten frei

Um im Wahlkampf einen Konflikt um die Noten in Integrationsklassen zu entschärfen, startet die CDU ein Experiment: Alle Schulen können versuchsweise auf Ziffernzeugnisse verzichten

VON KAIJA KUTTER

In der Bürgerschaft hat sich am Mittwochabend eine kleine Revolution ereignet: Da wurde ein Gesetz beschlossen, das es im Prinzip allen Schulen erlaubt, im Rahmen eines Schulversuchs auf Zensuren zu verzichten – und das auf Antrag der CDU. Statt herkömmlichen Noten sollen „innovative Formen der Kompetenzmessung“ erprobt werden, die schlicht benennen, was ein Kind kann und was noch nicht. So müssen auch in den Integrationsklassen weiterhin keine Zensuren verteilt werden.

Wer die Debatte seit der CDU-Regierungsübernahme verfolgt hat, reibt sich da verwundert die Augen: Bis 2002 waren an den Grundschulen Berichtszeugnisse erlaubt. Es war die CDU, die wieder einen Notenzwang für die 3. und 4. Klassen vorschrieb. Lediglich für die Integrativen Regelklassen (IR) und Integrationsklassen (I-Klassen) wurde aufgrund ihres besonderen pädagogischen Auftrags eine Ausnahme erlaubt. Und als CDU-Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig 2005 es den Schulen im Rahmen des Konzepts „Selbstverantwortete Schule“ wieder erlauben wollte, ohne Ziffernnoten zu arbeiten, war es die Union, die ihre eigene Fachsenatorin stoppte.

Und die CDU ging noch weiter: Sie hat das Schulgesetz dahingehend geändert, dass fortan auch die nicht behinderten Schüler in I-Klassen wieder Zahlenzeugnisse bekommen. Bei vielen Eltern und Lehrern stößt dies auf erbitterten Widerstand: Erst am Dienstag dieser Woche fand sich unter Federführung der Elternkammer ein Bündnis zusammen, das dem CDU-Vorhaben den Kampf ansagte – Motto: „Quatsch mit Zensuren“.

Aus Sicht der CDU galt es nun offenbar, im beginnenden Wahlkampf rasch einen Konflikt zu befrieden. Hatte sie doch gerade erst ein Debakel mit ihrer von der eigenen Klientel abgelehnten Gymnasial-Rettungskampagne erlebt.

Der CDU-Schulpolitiker Robert Heinemann tritt die Flucht nach vorn an. „Es handelt sich bei diesem Schulversuch um etwas, was die Behörde schon lange wollte“, sagt er zur taz. Er sei eigentlich für die nächste Legislatur geplant, „es spricht aber nicht dagegen, schon in diesem Frühjahr zu beginnen“. Die Schulen sollen „Kompetenzraster“ entwickeln, mit denen die bundesweit vereinbarten Bildungsstandards heruntergebrochen werden. Statt einer 2 oder 3 in Mathe bekommt ein Schüler beispielsweise attestiert, welche Rechenart in welchem Zahlenraum er beherrscht.

„Es handelt sich um ein Projekt für diejenigen, die in den Integrationsklassen auf keinen Fall getrennte Notengebung für behinderte und nicht behinderte Schüler wollen“, erklärt Alexander Luckow, Sprecher der Bildungsbehörde. „Diejenigen Schulen, die bisher Lernberichte geschrieben haben, können diese Praxis anhand eines Kompetenzrasters weiterführen.“ Das wäre in Absprache mit der Schulaufsicht auch sofort möglich. Eine Ausnahme gibt es nur für die 4. Klassen der I-Schulen: Sie sollen nach Willen von Behörde und CDU zum nächsten Halbjahr einmalig Ziffernnoten erhalten.

Nicht alle sind daher zufrieden mit der Neuerung: „Wir bedauern das sehr. Das ist ein harter Einschnitt, zumal es in Zukunft nicht so sein muss“, sagt Martin Kunstreich vom Verband für Integration an Hamburger Schulen (VIHS). Gleichwohl begrüße er die Gesetzänderung sehr, die es nun „allen Schulen ermöglicht, zu zukunftsorientierten Leistungsbewertungen zu kommen“, so Kunstreich. Nötig wäre, dass die Behörde nun schnell bekannt gibt, wie das Gesetz umgesetzt wird.