Steuerbefreiter Männerorden

OLYMPIA Bürger westlicher Großstädte betrachten die Spiele immer skeptischer. Logisch. Denn es muss eine neue olympische Vision her

■ ist Sportredakteur der taz. Er hat die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking vor Ort erlebt, ebenso die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver und vier Jahre später in Sotschi. 2016 sind dann die Sommerspiele in Rio dran.

Die Spiele waren schon 1896, zu Beginn der neuen olympischen Ära, in Europa schwer zu vermitteln. Athen bekam damals den Zuschlag aus nostalgischen Gründen, aber so richtig froh war man darüber nicht. Denn drei Jahre vor dem historischen Sportereignis musste Griechenland Staatsbankrott anmelden. In Vorbereitung der Olympischen Spiele mussten sich die Ausrichter also den Vorwurf gefallen lassen, „Luxusausgaben“ für die ersten Sommerspiele der Neuzeit zu veranschlagen.

Der damalige griechische Premierminister Charilaos Trikoupis schrieb an den ersten Olympiafunktionär von Rang, Pierre de Frédy Baron de Coubertin, er hätte es „vorgezogen, dass die ganze Angelegenheit nie ins Werk gesetzt worden wäre“. Letztlich rettete der in Alexandria lebende griechische Millionär Georgios Averoff die Spiele mit einer großzügigen Spende aus seiner Privatschatulle.

Schluckt die Kröte Olympia!

Und bis heute möchte auf dem alten Kontinent keiner so recht die Kröte Olympia schlucken. Zuletzt sagten die Bürger in Oslo, Krakau, Graubünden, München oder Stockholm in Volksentscheiden Nein. Immer wieder heißt es in demokratisch verfassten Nationen: zu teuer, zu megaloman, zu fremdgesteuert. Die Olympischen Spiele drohen bei all der Zurückhaltung des Westens mehr und mehr zu einer Leistungsschau autokratischer Regime zu verkommen. In China, Russland und demnächst wohl auch in Kasachstan, Katar und Aserbaidschan ist es leicht, dem Volk den Willen der politischen Elite aufzuzwingen – und damit das IOC zu überzeugen.

Und ja, die Spiele sind verdammt teuer. Zu teuer. Sie kosten Milliarden. In Sotschi investierte Russland über 40 Milliarden Euro in die Winterspiele. Das hat strukturelle Gründe. Gingen seinerzeit in Athen nur 295 Athleten, allesamt Männer, an den Start, so sind es jetzt bei Sommerspielen 10.500 Sportler. Hinzu kommen ebenso viele Journalisten. Die Olympischen Spiele haben sich aufgebläht zu einem riesigen Unterhaltungsunternehmen, das wie ein Usurpator von Ort zu Ort zieht und den Städten im Verbund mit mächtigen Fernsehanstalten seine Regeln diktiert. Fast schon unterwürfig müssen die Bewerber um die Gunst der Olympia-Funktionäre buhlen. Oftmals tun sie das mit sportiven Prunk- und Protzbauten, die ihren Glanz nach den Spielen jedoch schnell verlieren und als Weiße Elefanten in der Landschaft herumstehen.

Das passt nicht zu einem selbstbewussten westlichen Bürgertum, das gerne mitreden möchte, wenn es um Steuergeld, um Nachhaltigkeit, Stadtplanung, Mieten und Gentrifizierung, kurz: um die Lebensqualität in der Bewerberstadt geht. Viele Leute mögen die Spiele, ob sie nun in Berlin oder Hamburg wohnen. Sie würden sich auch gern in das Unterhaltungsspektakel stürzen, wenn es denn jemals nach Deutschland käme, aber sie sind bei ihrer Sportbegeisterung aus guten Gründen auch skeptisch: Müssen wirklich IOC-freundliche Gesetze erlassen werden, die dem Internationalen Olympischen Komitee Steuerfreiheit garantieren?

„Kultisch-religiöse Feier“

Warum sollen Milliarden in ein elitäres Projekt fließen, während der Breiten- und Schulsport mannigfaltige Probleme hat und chronisch unterfinanziert ist? Wollen wir uns wirklich vor einem männerbündischen Orden klein machen, der eine „kultisch-religiöse Feier“ veranstaltet, wie der Philosoph Hans Lenk feststellte, und obendrein einen Nationalismus befördert, der in eine globale Welt nicht mehr passt? Hatte Gregor von Rezzori vielleicht doch recht, als er 1960 postulierte: „Die Olympischen Spiele sind eine abgelegte Sache des 19. Jahrhunderts“?

Ganz so ist es natürlich nicht. Der Reiz der Spiele ist nach wie vor groß, weswegen derzeit ja auch der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB) einen neuen Versuch unternimmt mit Hamburg und Berlin. Es ist ein vorsichtiges Tasten und Werben um die Gunst der Bürger.

Das Ergebnis der Meinungsumfrage, das am Dienstag veröffentlicht wurde, hat nur wenig Aussagekraft. Es haben sich 55 Prozent von 1.500 befragten Berlinern für die Ausrichtung der Sommerspiele 2024 in ihrer Stadt ausgesprochen, in Hamburg waren es sogar 64 Prozent. Aber was heißt das schon? Die Zahlen sind oft Makulatur, wenn es zu einem Bürgerentscheid kommt. So geschehen bei der Münchner Bewerbung um die Winterspiele 2022. Eine Umfrage im Vorfeld des Bürgerentscheids hatte 65 Prozent Zustimmung ergeben, trotzdem senkte sich der Daumen der Münchner und Garmischer über dem Plan, die Winterspiele auszurichten. Und dann sind ja auch noch die Befindlichkeiten des IOC zu beachten.

Ab 2020 noch größer?

Die Olympischen Spiele sind ein aufgeblähter Unterhaltungskonzern, der wie ein Usurpator von Ort zu Ort zieht

Geschicktes Lobbying ist ebenso gefragt wie die hohe Kunst der informellen Diplomatie. Zuletzt haben sich die Deutschen da eher verhoben. Die Berliner Bewerbung um die Sommerspiele 2000 endete ebenso traumatisch für die Sportfunktionäre wie der Versuch des kleinen Leipzig, einmal auf den Olymp zu steigen.

Der Sportbund nämlich muss über zwei Stöckchen hüpfen: das der Bürger und des IOC. Das kann er nur, wenn er eine Vision hat, die kein verquaster Olympismus ist. Es muss ein Versprechen an die Bürger von Hamburg oder Berlin sein, vieles anders zu machen. Anders heißt: transparenter, klüger, kostengünstiger, nachhaltiger und insgesamt offener. Auch mit klaren Ansagen an das IOC. Wer Bittsteller ist, kann nicht souverän agieren. Wer nur Klinken putzt, den nimmt man irgendwann nicht mehr ernst. Aber kann das ein Dachverband leisten, der ja auch nur Teil des IOC ist? Können das Bewerberstädte leisten, die nur an Stadtmarketing und Tourismus interessiert sind?

Das IOC hat die Gefahren erkannt, die durch Gigantomanie entstanden sind. Es hat sich eine „Agenda 2020“ verordnet. Aber damit wird viel Augenwischerei betrieben. Denn mit der Agenda sind künftig noch größere Spiele möglich, in mehreren Ländern gleichzeitig. Die Ideologie des steten Wachstums, die das weltweite Wirtschaftsgeschehen bestimmt, sie hat die olympische Welt fest im Griff. Zum Nachteil der Städte und ihrer Bewohner. Und zum Nachteil des Sports.

MARKUS VÖLKER