Doch kein Fahndungserfolg im Mordfall Boris Nemzow

RUSSLAND Menschenrechtsrat geht nach Besuch davon aus, dass Hauptverdächtiger gefoltert wurde

Der Kreml fürchtet, Grosny könnte sich wieder gegen Moskau wenden

MOSKAU taz | Ausgerechnet der beim russischen Präsidenten angesiedelte Menschenrechtsrat brachte die Fahndungserfolge im Mordfall Boris Nemzow ins Wanken. Der 55-jährige Oppositionelle war Ende Februar in Moskau unweit des Kreml erschossen worden. Am Dienstag teilte das Ermittlungskomitee noch mit: Der Hauptverdächtige Saur Dadajew sei nicht nur für die Ausführung des Attentats verantwortlich, der tschetschenische Sicherheitsprofi hätte auch die Vorbereitungen getroffen. Als Mordmotiv nannten die Ermittler vermeintlich antiislamische Äußerungen Nemzows im Zusammenhang mit dem Pariser Attentat auf Charlie Hebdo.

Als die Menschenrechtskommission am Dienstag die Inhaftierten im Gefängnis Lefortowo aufsuchte, stellte Kommissionsmitglied Andrei Babuschkin fest, es gebe Grund zu der Annahme, dass der Hauptverdächtige „Saur Dadajew unter Folter gestanden hat“. Dadajew hatte „zahlreiche Verletzungen“ am Körper.

In einem Interview des Moskowski Komsomolez beschreibt der Tatverdächtige, wie er geschlagen wurde. Noch im Nordkaukasus hätte er gestanden, weil die Fahnder versprochen hätten, den mit ihm verhafteten Ruslan Jusupow freizulassen. „Ich dachte, ich rette ihn und mich bringen sie wenigstens lebendig nach Moskau. Sonst würde mir das Gleiche widerfahren wie Schawanow.“ Schawanow gilt als zweiter Hauptverdächtiger, der sich laut offizieller Darlegung der Festnahme in Grosny durch Selbstmord entzogen hatte. Dadajew sei davon ausgegangen, dass er in Moskau das Geständnis widerrufen könne.

Die Nowaja Gaseta berichtete am Mittwoch, der Name des tatsächlichen Täters sei Mitarbeitern der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden bekannt. Die Zeitung gibt mit Ruslan nur dessen Vornamen preis. Der russische Oppositionelle Alexei Nawalny twitterte den Rest: Ruslan Geremejew soll der tatsächliche Mörder heißen. Sein Onkel sitzt als Senator Tschetscheniens im russischen Föderationsrat. Auch der tschetschenische Duma-Abgeordnete Adam Delimchanow ist ein enger Verwandter. Dieser Clan steht dem Präsidenten Ramsan Kadyrow in Grosny nahe. Bei den Ermittlungen wurde auch noch eine Abschussliste gefunden, auf der auch die Fernsehjournalistin Xenia Sobtschak geführt wird. Laut Nowaja Gaseta ist der Fall Nemzow gelöst. Jetzt hinge alles nur noch von Präsident Wladimir Putin ab. Entscheidet er sich für den wahren Mörder, müssten die Fahnder in Richtung Kadyrow weiter ermitteln. Doch anscheinend fürchtet der Kreml, Grosny könnte sich wieder gegen Moskau wenden. Hält der Kreml jedoch an Kadyrow fest, würde er die eigenen Sicherheitsstrukturen verprellen. KLAUS-HELGE DONATH