Schon wieder Punk?

Unter dem Namen „Surplus“ haben sich fünf Bands zu einem „Konzert- und Bookingkollektiv“ zusammengeschlossen. Offensichtlich hat man viel vor. Heute Abend feiert man aber erst mal die Eröffnungsgala

„Mehrwert, Überschuss und Überfluss oder Nicht-Wert, überschüssig und überflüssig. Marx und Derrida werden bei der einen oder dem anderen eine Rolle spielen, aber hier geht’s um ein Dazwischen“, erfährt man seit ein paar Wochen auf der Internetseite sur-plus.org. Wer bei derartigem Namedropping und großen Begriffen auf den Auftakt eines Exposés zu einem autonomen Seminar in Werttheorie tippt und auf begriffliche Präszisierung hofft, wird allerdings enttäuscht. Keine abstrakte Diskussion über Ausbeutung und den gespenstischen Charakter des Tauschwerts erwartet einen hier. Stattdessen entpuppt sich Surplus in dem kurzen Text als Name für einen „realen Zusammenhang von MusikerInnen und Bands“, der „ins Virtuelle vergrößert werden soll“, und das Dazwischen als „zwischen ambivalenter Selbstausbeutung und zweckunbestimmten Freundschaften“: ein „jenseits des Mainstreams“ und „abseits kommerzieller Zusammenhänge“ arbeitendes „Booking- und Konzertkollektiv“ nebst einer Internetpräsenz mit „Selbstdarstellungen und selbstbewussten Platzhaltern“ – und einem offensichtlich, nu ja, recht gesunden Selbstverständnis.

Fünf befreundete Bands haben diese Vergrößerung ins Virtuelle bereits angetreten, erfährt man. Die Vibraphon-lastige Post-Hardcore-Combo „FUO“, die „Post-Kaufhaus-zu zweit“-Unterhalter „Die Charts“, die ruhigen und doch „auf ihre Art aufmüpfigen“ Indierocker „tschilp“ und das Zick-Zack-Rock- und Disco-Orgel-Trio „Karl-Heinz“ aus Hamburg sowie die Kölner Postrocker „Air People“ präsentieren sich im hübsch aufgeräumten virtuellen Raum, bieten ihre Tonträger feil und verweisen auf ihre Konzerte. Heute Abend zum Beispiel feiert man eine große Surplus-Eröffnungsgala im Hafenklang-Exil.

Also doch nur einer der zahllosen, für sich nicht sonderlich interessanten Versuche, da, wo man sich ohnehin versteht, unter einem wohlklingenden Namen Synergieeffekte zu erzielen und sich gegenseitig unter die Arme zu greifen – verbunden mit der sattsam bekannten Geste, die Idee der kommerziellen Verwertung des eigenen Tuns abzulehnen und sich in Distanz zum Kulturindustriebetrieb zu verorten – immer noch „Untergrund“ zu sein? Viel mehr als die ebenfalls nicht selten gehörte Erkenntnis der dem Namen innewohnenden Verpflichtung, diesen „zu füllen, zu verändern und praktisch werden zu lassen“, lässt sich der Surplus-Selbstdarstellung nämlich neben Schlagworten kaum entnehmen.

Vielleicht. Aber dann hätte man ja auch schlicht ein weiteres Indie-Label gründen und auf die ganz großen Begriffe verzichten können. Statt als auf Außenwirkung bedachte Veranstaltung, könnte man das Unternehmen „Surplus“ aber auch als Botschaft an die „eigene Szene“ lesen. Dann enthielte sie den Verweis darauf, dass deren lieb gewonnenen Handlungs- und Erklärungsansätze in Bezug auf die Verwertbarkeit des eigenen Tuns längst nicht mehr als verbindlich und selbstverständlich gelten können. Und könnte tatsächlich eine Diskussion anstoßen.

Zu weit vom Liebgewonnenen weg will man dabei natürlich doch nicht. Und bevor die Akademiker wieder zu diskutieren anfangen: „Surplus ist nicht die Multitude, sondern immer noch und schon wieder Punk.“ Da haben wir aber noch mal Glück gehabt. ROBERT MATTHIES

Surplus-Gala: Sa, 24. 11., 21 Uhr, Hafenklang-Exil, Große Bergstraße 178; www.sur-plus.org