Der Horror wohnt nebenan

Fang nichts mit einem verheirateten Mann an, denn die Betrogene entführt deine Kinder: Alexa Hennig von Langes neuer Roman „Risiko“ jagt Lilly und Erik mitten im Kleinfamilienglück ganz schön Angst ein. Aber am Ende geht alles gut aus

Melancholieumflort und angeschossen: Alle sind erwachsener geworden

VON WIEBKE POROMBKA

Das ist ja schon mal was. Ein Roman von Alexa Hennig von Lange ohne ein Foto von Alexa Hennig von Lange auf dem Cover. Bisher hat man das nicht allzu häufig gesehen. Obwohl der jungen Frau, die auf einem Liegestuhl neben dem nächtlichen Swimmingpool schläft, immerhin eine gewisse Ähnlichkeit mit der Autorin nicht abzusprechen ist. Zwei Rehe grasen neben ihr. Was nach Idylle klingen könnte, sieht irgendwie ungut aus. Unheilschwanger. „Risiko“ heißt denn auch der Roman, der bei Alexa Hennig von Langes neuem Verlag Dumont in neuer Aufmachung erschienen ist.

Der Eindruck des Umschlags setzt sich mit Beginn der Lektüre nahtlos fort. Oben rauschen unentwegt und bedrohlich die Baumwipfel, unten reißen Baumaschinen das Straßenpflaster auf. Dass in dieser beschaulichen Einfamilienhaussiedlung Wolken heraufziehen, kann niemand übersehen. Im Grunde ist aber alles schon ganz schön dicke, bevor es dicke kommt: Mit Lilly und Erik hat die Autorin ein Ehepaar geschaffen, bei dem beide Seiten gleichermaßen traumatisiert sind. Lilly ist melancholieumflort, seit vor Jahren Mutter und kleiner Bruder im Meer ertrunken sind. Erik ist bei einem Aufenthalt im Nahen Osten angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Seither leidet er an Angstzuständen.

Ihre beiden Kinder tragen wenig zur Aufmunterung bei. Viel schlimmer: An ihnen spielt Erik seine Ängste durch und lässt einen Dreijährigen und eine Siebenjährige ein Überlebenstraining absolvieren, das der GSG 9 alle Ehre machen würde. Nebenbei baut er den Keller zum Bunker um. Seine Familie soll gegen alle Gefahren gewappnet sein.

Verwunderlich ist allemal, mit welcher Gelassenheit Lilly diese Neurosen ihres Mannes hinnimmt. Weniger verwunderlich, dass ihre Gedanken mehr und mehr um ihre Jugendliebe kreisen, Helge, der mit Frau und drei Kindern ausgerechnet im Haus gegenüber wohnt. Immer wieder gibt es Sätze und ganze Passagen in diesem Buch, die derart kolportagehaft sind, dass man nicht weiß, ob sie freiwillig oder unfreiwillig komisch sind. Oder aber man vermutet zumindest hin und wieder höhere Ironie am Werk. So grübelt Lilly morgens im ehelichen Doppelbett vor sich hin: „Also suchte sie“, heißt es da, „in der Tiefe und Dunkelheit ihres Körpers nach Indizien, wer sie war und was sie bewegte. Sie ahnte: Eine ganze Menge.“ Nun ja. In erster Linie bewegt sie ihr Nachbar Helge, das weiß der Leser schon und möchte eigentlich „Ach nee, Kinders!“ ausrufen, wenn sich dann natürlich auch noch die unvermeidliche Affäre zwischen den beiden entspinnt.

Aber Achtung, plötzlich passiert etwas: Ehe man sich versieht, gerät nicht nur Helges betrogene Frau Irene, die den beiden auf die Schliche kommt, sondern auch der eigene, sicher geglaubte Leseeindruck außer Kontrolle. Nach und nach scheint alles, was man bisher als überzogen empfunden hat, einen Sinn zu bekommen. Um Plausibilität geht es nicht mehr. Vielmehr ist es ein albtraumgleiches Szenario, das sich entfaltet und das sich zunächst vor allem aus der Angst und dem schlechten Gewissen von Lilly zu speisen scheint. Das diffuse Gefühl der Bedrohung durch die Betrogene erweist sich schnell als verdammt real. Alexa Hennig von Lange schafft es, nicht nur ihre Figuren, sondern auch den Leser in einen Sog beklemmender Spannung zu ziehen, aus dem es kein Entkommen mehr gibt.

In der Tiefe ihres Körpers suchte sie danach, wer sie war und was sie bewegte

Spätestens am Ende von Nachbarin Irenes Rachefeldzug wird sich auch der letzte Skeptiker nicht mehr um die Kolportageversatzstücke kümmern, die der Text immer noch nicht vermeiden kann: Die Betrogene entführt die beiden Kinder von Lilly und bringt sie an den Ort am Meer, wo schon einmal ein Teil von Lillys Familie umgekommen ist. Diesmal gibt es ein gutes Erwachen: Anfangs- und Schlusssequenz des Romans zeigen die beiden Kinder, die Irene und dem Meer entkommen sind. Hand in Hand, zwar verletzt, aber lebendig.

Was ist nun das Fazit dieser Geschichte, mit der die Autorin so etwas wie eine Urangst trifft? Fang nichts mit einem verheirateten Mann an, schon gar nicht, wenn du selber Kinder hast? Solche Plädoyers für das Festhalten an familiären Werten hört man heute ja öfter. Alexa Hennig von Lange sind solche Ansichten sicher nicht fremd; immer mal wieder lässt sie verlauten, dass sie sich für ihren Mann und ihre Kinder unter anderem durch ihre Back- und Kochkreationen unentbehrlich mache. Doch mit diesem Roman beweist Alexa Hennig von Lange etwas anderes. Als sie Ende der Neunzigerjahre als weibliche Vertreterin der Popliteratur von sich reden machte, war es vor allem das Gespür für den Sound und das Lebensgefühl einer Generation, das ihr selbst von kritischen Stimmen bescheinigt wurde. Dieses Gespür scheint ihr nicht abhandengekommen zu sein, auch wenn sie es nicht mehr durch ihr Foto auf dem Cover beglaubigt.

Alle sind ein bisschen erwachsener geworden. Wer wie die Autorin in den Dreißigern und bei der Kleinfamilie angekommen ist, wird das nur zu gut kennen: diese seltsame Mischung aus Aufgehobensein, Zweifel und der mehr oder minder stummen Frage, ob nicht alles auch ganz anders sein könnte. Glück und Angst liegen dicht beieinander, wenn es um die eigenen Kinder geht. Alexa Hennig von Lange erzählt genau von dieser Zerrissenheit. Ihr Roman bewegt sich dabei absturzgefährdet immer auf der Kante. Vieles kann man gegen ihn vorbringen. Aber irgendwie kriegt er einen. Und das ist doch tatsächlich schon mal was.

Alexa Hennig von Lange: „Risiko“. Dumont, Köln 2007, 252 S., 19,90 €