Mysteriöse Schüsse nach Mitternacht

USA Im Anschluss an eine Demonstration zur Feier des Rücktritts von Fergusons Polizeichef werden zwei Polizisten angeschossen und verwundet. Aus den Reihen der Protestierenden kamen die Kugeln offenbar nicht

Demonstranten versteckten sich hinter Autos, andere schrien in Panik

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Die Schüsse pfiffen kurz nach Mitternacht in die Demonstration vor der Polizeiwache von Ferguson hinein. Zwei Polizisten in der Menge wurden von Kugeln verletzt: einer an der Schulter, der andere im Gesicht. Die um sie herumstehenden Menschen gingen in Deckung, versteckten sich hinter geparkten Autos und schrien in Panik. Polizisten mit gezückten Feuerwaffen zogen in geschlossenen Reihen auf den Tatort zu. Ein Geistlicher, Reverend Osagyefo Sekou, der seit Monaten an den Protesten in Ferguson teilnimmt, führte eine Gruppe von verängstigten Demonstranten in Sicherheit. Die Verhöre von Augenzeugen dauerten bis zum Morgengrauen.

Am Donnerstagfrüh erklärten der Polizeichef der benachbarten Großstadt St Louis, Jon Belmar, und Bürgerrechtler in Ferguson in seltener Einmütigkeit: „Die Schüsse kamen nicht aus der Demonstration.“

Über Täter und Motive gibt es keine Informationen. Die Opfer liegen mit nicht lebensbedrohlichen Verletzungen im Krankenhaus. Die Polizei fahndet. Demonstranten berichten, dass die Schüsse von einem Hügel hinter ihnen kamen. Und dass sie sich persönlich bedroht fühlten.

Die Demonstration in Ferguson war zum Zeitpunkt der Schüsse kurz vor ihrer Auflösung. Die ersten Demonstranten waren bereits gegangen.

Begonnen hatte die Veranstaltung mit guter Stimmung. Die Demonstranten feierten den Rücktritt des örtlichen Polizeichefs Thomas Jackson. Wenige Tage, nachdem ein Bericht des Justizministeriums in Washington den systematischen Rassismus in der Polizei und Verwaltung von Ferguson in zahlreichen Details beschrieben hatte, kündigte am späten Mittwochnachmittag auch Jackson seinen längst überfälligen Rücktritt an.

Er war damit der vorerst letzte Verantwortliche für die Missstände in Ferguson, der geht. Seinen Jahreslohn von rund 96.000 Dollars soll er allerdings noch für weitere zwölf Monate bekommen.

Als Erster ging – schon im November – der weiße Polizist Darren Wilson, der im vergangenen August den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown erschossen hatte und dafür nie vor einem Gericht belangt werden wird.

Direkt nach der Veröffentlichung des Berichts des Justizministeriums in der vergangenen Woche traten zwei weitere Polizisten zurück. Der Bericht hatte ihre rassistischen E-Mails erwähnt, in denen unter anderem Präsident Obama als Schimpanse dargestellt war.

Als Nächstes wurde die Gerichtsschreiberin von Ferguson entlassen. Der Gemeinderichter trat zurück. Die beiden waren laut Bericht federführend an dem System der Eintreibung von „aggressiven Strafmandaten“ beteiligt, die sich überproportional gegen die schwarze Bevölkerung von Ferguson richtete. Die von der Polizei von Ferguson im vergangenen Jahr eingetriebenen Geldstrafen in Höhe von 3,1 Millionen machten ein Viertel des Gemeindehaushalts aus.

Als Nächster trat Anfang der Woche der City Manager zurück. John Shaw war für die Gemeindefinanzen verantwortlich und hat laut Bericht den Polizeichef aufgefordert, mehr Geldstrafen einzutreiben, um den Gemeindehaushalt zu sanieren.

Doch die Demonstranten, die am Mittwochabend vor der Polizeiwache zusammenkamen, wollen mehr. Sie verlangen eine Auflösung der örtlichen Polizei. Und sie wollen den Rücktritt von Bürgermeister James Knowles, der erst nach sieben Monaten beinahe täglicher Proteste nun ganz allmählich Fehler in seiner Stadt zugibt.

Zahlreiche Demonstranten verlangen außerdem, dass auch außerhalb der engen Gemeindegrenzen von Ferguson Konsequenzen gezogen werden. Die rassistische Voreingenommenheit der – mehrheitlich weißen – Polizei zieht sich quer durch den Bundesstaat Missouri und zahlreiche andere Staaten der USA.

Bürgerrechtler innerhalb und außerhalb von Ferguson verlangen zudem, dass polizeiliche Prinzipien quer durch die USA radikal verändert werden. Sie argumentieren, der „Krieg gegen die Drogen“ und die Aufrüstung örtlicher Polizeitruppen mit Kriegsgeräten seien Grundübel, die dazu führen, dass jede Woche in den USA mehrere junge – und in der Regel unbewaffnete – Afroamerikaner und Latinos von Polizisten erschossen werden.

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